Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Frieden«, sagte ich.
»Seid Ihr erst jüngst auf die Insel gekommen?« fragte er, während er vorsichtig näher kam. Er hatte ein angenehmes Gesicht mit tiefen Falten und traurigem Ausdruck, und sein Verhalten erinnerte mich an Bischof Bedwin.
»Ich bin zur Stunde erst eingetroffen«, antwortete ich.
»Und wurdet zweifellos von diesem Pöbel unten am Tor verfolgt. Ich entschuldige mich für sie, obwohl die Götter wissen, daß ich für diese Leichenfledderer nicht verantwortlich bin. Woche für Woche nehmen sie sich das Brot und lassen uns andere dafür bezahlen. Faszinierend, nicht wahr, wie sich sogar an diesem Ort der verlorenen Seelen Hierarchien herausbilden! Es gibt Herrschende hier. Es gibt die Starken und die Schwachen. Manche Menschen träumen von einem Paradies auf Erden, und die erste Bedingung für ein solches Paradies ist, wie ich hörte, daß wir uns der Gesetze entledigen; doch ich argwöhne, mein Freund, daß ein Ort ohne Gesetze weit eher dieser Insel gleichen würde als einem Paradies. Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Euren Namen zu erfahren.«
»Derfel.«
»Derfel?« Nachdrücklich runzelte er die Stirn. »Ein Diener der Druiden?«
»Das war ich. Jetzt bin ich Krieger.«
»Irrtum, das seid Ihr nicht«, korrigierte er mich, »Ihr seid tot. Ihr seid auf die Toteninsel gekommen. Bitte, kommt doch und nehmt Platz. Es ist nicht viel, aber es ist mein Heim.« Er deutete in die Höhle hinein, wo zwei halbbehauene Steinquader als Tisch und Stuhl dienten. Ein altes Stück Tuch, möglicherweise vom Meer angespült, verbarg nur unzulänglich seinen Schlafraum, wo ich ein Lager aus getrocknetem Gras ausmachen konnte. Er bestand darauf, daß ich den kleineren Steinquader als Stuhl benutze. »Ich kann Euch einen Schluck Regenwasser anbieten«, erklärte er, »und einen Bissen fünf Tage altes Brot.«
Ich legte einen Haferkuchen auf den Tisch. Malldynn war offensichtlich hungrig, doch er widerstand dem Impuls, sich das Gebäck gierig zu greifen. Statt dessen zog er ein kleines Messer mit einer Klinge, die so oft geschärft worden war, daß
sie eine wellenartige Schneide hatte, heraus und teilte den Kuchen damit in zwei Hälften. »Auf die Gefahr hin, undankbar zu wirken - aber Hafer hab' ich noch nie gemocht. Ich bevorzuge Fleisch, frisches Fleisch. Aber ich danke Euch dennoch, Derfel.« Er hatte sich mir gegenüber auf die Knie niedergelassen, aber sobald er den Haferkuchen gegessen und sich die Krümel zierlich von den Lippen getupft hatte, erhob er sich und lehnte sich an die Höhlenwand. »Meine Mutter hat auch immer Haferkuchen gebacken«, erzählte er,
»aber ihre waren gröber. Ich vermute, daß der Hafer nicht richtig entspelzt worden war. Dieser hier war köstlich, und ich werde meine Meinung über Hafer wohl revidieren müssen. Ich danke Euch nochmals.« Er verneigte sich höflich.
»Ihr wirkt nicht wie ein Wahnsinniger«, stellte ich fest. Er lächelte. Er war im mittleren Alter, hatte ein vornehmes Gesicht, intelligente Augen und einen weißen Bart, den er in Form zu halten versuchte. Seine Höhle hatte er mit einem Reiserbesen ausgefegt, der an der Wand lehnte. »Wer hierhergeschickt wird, ist nicht unbedingt wahnsinnig, Derfel«, erklärte er mir vorwurfsvoll. »Manche wollen geistig gesunde Menschen bestrafen und schicken sie ebenfalls hierher. Nun ja, ich habe Uther beleidigt.« Von Reue erfüllt, hielt er inne.
»Ich war Berater«, fuhr er fort, »sogar ein hochgestellter Mann, aber als ich Uther erklärte, sein Sohn Mordred sei ein Dummkopf, landete ich hier. Dabei hatte ich recht. Mordred war ein Dummkopf, sogar mit zehn Jahren war er schon ein Dummkopf.«
»So lange seid Ihr schon hier?« fragte ich ihn verblüfft.
»Leider ja.«
»Wie habt Ihr überleben können?«
Bescheiden zuckte er die Achseln. »Die Leichenfledderer am Tor glauben, daß ich die Magie beherrsche. Ich habe ihnen gedroht, ihnen den Verstand zurückzugeben, wenn sie mich belästigen, deswegen geben sie sich die größte Mühe, mich bei Laune zu halten. Glaubt mir, als Wahnsinnige sind sie glücklicher dran. Jeder Mensch, der seinen Verstand beisammen hat, würde auf dieser Insel darum beten, ihn verlieren zu dürfen. Und Ihr, Freund Derfel, darf ich fragen, was Euch hierher führt?«
»Ich suche nach einer Frau.«
»Aha! Davon haben wir eine Menge, die meisten durch keinerlei Schamgefühl gehemmt. Derartige Frauen gelten, glaube ich, als eine weitere Vorbedingung für ein Paradies auf Erden, aber
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