Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Zweck! Er ist ein Geschenk der Götter und hat, wie alle Geschenke der Götter, seinen Preis, aber den habe ich nunmehr bezahlt.« Sie sprach leidenschaftlich, und doch spürte ich plötzlich, wie mich ein Gähnen ankam, und sosehr ich mich bemühte, ich konnte es nicht unterdrücken. Ich versuchte es zu verbergen, aber sie sah es trotzdem. »Du brauchst Schlaf«, stellte sie fest.
»Nein, nein!« protestierte ich.
»Hast du letzte Nacht geschlafen?«
»Ein wenig.« Ich hatte an der Hüttentür gesessen und war, während ich zuhörte, wie die Mäuse im Stroh raschelten, gelegentlich ein wenig eingedöst.
»Dann wirst du jetzt zu Bett gehen«, bestimmte sie energisch,
»und mich hier meinen Gedanken überlassen.«
Ich war so müde, daß ich mich kaum entkleiden konnte, aber schließlich lag ich auf dem Farnbett, wo ich wie ein Toter schlief. Es war ein großer, tiefer Schlaf, der der Ruhe glich, die in der Sicherheit nach einer Schlacht eintritt, wenn der schlechte Schlaf, der von Alpträumen voller Erinnerungen an knapp verfehlte Speerstöße und Schwerthiebe unterbrochen wird, von der Seele gewaschen worden ist. So schlief ich, und in der Nacht kam Nimue zu mir. Anfangs dachte ich, es sei ein Traum, als ich dann aber erschrocken hochfuhr, spürte ich ihre kühle, nackte Haut an der meinen. »Schon gut, Derfel«, flüsterte sie mir zu, »schlaf weiter.« Und ich schlief mit ihrem mageren Körper in den Armen.
Wir erwachten in Lugnasas wunderschöner
Morgendämmerung. In meinem Leben gab es Zeiten reinsten Glücks, und dies war eine davon. In diesen Zeiten, glaube ich, ist die Liebe mit dem Leben im Gleichtakt, oder die Götter wollen, daß wir uns zum Narren machen, und nichts ist so süß
wie die Torheit am Lugnasafest. Die Sonne schien, schickte ihr Licht durch die Blumen in unsere Laube, wo wir uns liebten. Später spielten wir wie Kinder im Bach, wo ich unter Wasser Otterblasen zu machen versuchte, und als ich prustend auftauchte, lachte Nimue laut heraus. Ein Eisvogel schoß
zwischen den Weiden hindurch, bunt wie ein Traumteppich. Die einzigen Menschen, die wir den ganzen Tag über sahen, waren zwei Reiter, die, mit Falken auf den Fäusten, am anderen Bachufer entlangritten. Sie sahen uns nicht, und wir blieben still liegen und sahen zu, wie einer ihrer Vögel einen Reiher schlug: ein gutes Zeichen. Denn an diesem einen vollkommenen Tag waren Nimue und ich Liebende, obwohl uns die zweite Freude der Liebe versagt blieb, die in dem sicheren Wissen um eine gemeinsame Zukunft liegt, in einem Glück, das nicht weniger groß ist als zu Beginn der Liebe. Aber ich hatte keine Zukunft mit Nimue. Ihre Zukunft lag auf den Pfaden der Götter, und für diese Pfade hatte ich kein Talent.
Und sogar Nimue war versucht, von diesen Pfaden
abzuweichen. Am Abend des Lugnasatages, als das schräg einfallende Sonnenlicht die Bäume an den westlichen Hängen in Schatten tauchte, lag sie im Schutz der Laube zusammengerollt in meinen Armen und sprach von allem, was wir haben könnten. Ein Häuschen, ein Stück Land, Kinder und Viehherden. »Wir könnten nach Kernow gehen«, sagte sie verträumt. »Merlin hat immer gesagt, daß Kernow ein gesegneter Ort ist. Und weit entfernt von den Sachsen.«
»Irland«, wandte ich ein, »ist noch weiter entfernt.«
Ich spürte, wie sie den Kopf an meiner Brust schüttelte. »Irland ist verflucht.«
»Warum?« wollte ich wissen.
»Weil sie die Kleinodien Britanniens besaßen«, antwortete sie,
»und sie sich abnehmen ließen.«
Ich wollte jetzt weder über die Kleinodien Britanniens noch über die Götter, noch über irgendein Thema sprechen, das diesen Augenblick verdorben hätte. »Also gut, Kernow«, lenkte ich ein.
»Ein kleines Häuschen«, sagte sie versonnen, und dann zählte sie all die Gegenstände auf, die es in dem kleinen Häuschen geben sollte: Krüge, Pfannen, Spieße,
Worfeltücher, Siebe, Eibenholzeimer, Sicheln, Schergeräte, eine Spindel, einen Wollewickler, ein Lachsnetz, ein Faß, einen Herd, ein Bett. Hatte sie in ihrer feuchten, kalten Höhle über dem Hexenkessel von diesen Dingen geträumt? »Und keine Sachsen«, fuhr sie fort, »und auch keine Christen. Vielleicht sollten wir auf die Inseln im Westmeer gehen. Auf die Inseln hinter Kernow. Nach Lyonesse.« Ganz leise sprach sie diesen wundervollen Namen aus. »Leben und Lieben in Lyonesse«, ergänzte sie. Dann lachte sie.
»Warum lachst du?«
Einen Augenblick blieb sie stumm. Dann zuckte sie die Achseln.
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