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Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Titel: Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Götter hatten ihr dieses Wissen geschenkt, als sie sie vor dem Ertrinken bewahrten. Als Kind hatte sie oft voll Unsinn und Schalkhaftigkeit gesteckt, nun aber, da sie Merlins Führung entbehren und seine Verantwortung auf ihren mageren Schultern tragen mußte, hatte sie sich verändert. Ich selbst veränderte mich natürlich auch, aber meine Veränderung war vorhersehbar: Ein knochiger Knabe entwickelte sich zu einem hochgewachsenen jungen Mann. Nimue dagegen ging nahtlos von der Kindheit in die Autorität über. Diese Autorität entsprang ihrem Traum, einem Traum, den sie mit Merlin teilte, den sie aber niemals, wie Merlin, aufs Spiel setzen würde. Nimue wollte alles oder nichts. Sie hätte lieber zugesehen, wie die ganze Welt in der Kälte einer gottlosen Leere unterging, als denjenigen, die ihre Vorstellung eines vollkommenen, den eigenen britischen Göttern ergebenen Britanniens zu verwässern trachteten, auch nur einen Zoll nachzugeben. Und nun, als sie da vor mir kniete, wußte ich, daß sie erwog, ob ich würdig sei, in diesem leidenschaftlichen Traum eine Rolle zu spielen.
    Sie traf ihre Entscheidung und rückte näher zu mir heran. »Gib mir deine linke Hand«, verlangte sie.
    Ich reichte sie ihr.
    Mit ihrer Linken ergriff sie meine Hand so, daß die Handfläche nach oben zeigte, und murmelte einen Zauberspruch. Ich erkannte die Namen von Camulos, dem Kriegsgott, von Manawydan fab Llyr, Nimues ganz persönlichem Meeresgott, von Agrona, der Göttin des Schlachtens, von Aranrhod,
    »Silberrad«, der Göttin der Morgenröte, aber die meisten Namen und Wörter waren mir fremd und wurden in einem so hypnotisierenden Ton gesprochen, daß ich schläfrig und ganz ruhig wurde, ohne mich darum zu kümmern, was Nimue sagte oder tat, bis sie plötzlich das Messer quer über meine Handfläche zog; erst dann schrie ich erschrocken auf. Sie beruhigte mich. Sekundenlang lag der Schnitt wie eine haarfeine Linie auf meiner Hand, dann quollen Blutstropfen hervor.
    Sie schnitt sich auf dieselbe Art in die eigene Hand, dann legte sie ihren Schnitt auf den meinen und ergriff meine kraftlosen Finger mit den ihren. Sie ließ das Messer fallen, hob einen Zipfel ihres Umhangs und wickelte ihn fest um unsere blutenden Hände. »Derfel«, sagte sie leise, »solange deine Hand diese Narbe trägt, solange die meine diese Narbe trägt, sind wir eins. Einverstanden?«
    Als ich ihr in die Augen sah, wurde mir klar, daß es sich hier um keine Kleinigkeit handelte, gewiß nicht um ein Kinderspiel, sondern um einen Eid, der mich auf meinem ganzen Weg durch diese Welt und möglicherweise noch in der nächsten Welt binden würde. Sekundenlang stieg in mir Angst vor allem auf, was mir bevorstand; dann nickte ich, und es gelang mir irgendwie, etwas zu sagen. »Einverstanden«, erklärte ich.
    »Und solange du diese Narbe trägst, Derfel«, fuhr sie fort,
    »gehört dein Leben mir, und solange ich diese Narbe trage, gehört mein Leben dir. Hast du das verstanden?«
    »Ja«, antwortete ich. Meine Hand pochte. Sie fühlte sich heiß
    und geschwollen an, während ihre Hand in meinem blutigen Griff winzig und kühl wirkte.
    »Eines Tages, Derfel«, sagte Nimue, »werde ich dich rufen, und wenn du dann nicht kommst, werden die Götter dich an dieser Narbe als falschen Freund, Verräter und Feind erkennen.«
    »Ja«, sagte ich.
    Schweigend sah sie mich eine Weile an. Dann kletterte sie zu mir auf den Berg aus Pelzen und Decken und rollte sich in meinen Armen zusammen. Es war unbequem, so eng
    zusammen zu liegen, denn unsere beiden linken Hände waren noch immer verbunden, doch irgendwie richteten wir uns ein und lagen dann still. Draußen ertönten Stimmen, und Staub trieb in das hohe, dunkle Gemach herein, wo die Fledermäuse schliefen und die Kätzchen jagten. Es war kalt, aber Nimue zog ein Fell über uns beide. Dann schlief sie ein, und das Gewicht ihres leichten Körpers ließ meinen Arm
    empfindungslos werden. Ich blieb wach, voll Ehrfurcht und Verwirrung über das, was das Messer zwischen uns hatte entstehen lassen.
    Am späten Nachmittag erwachte sie. »Gundleus ist fort«, verkündete sie schläfrig, obwohl mir nicht klar war, woher sie das wußte. Sie löste sich aus meinem Griff und den zerwühlten Pelzen, bevor sie den Umhangzipfel abnahm, der noch immer um unsere Hände gewickelt war. Das Blut war verkrustet, und als wir uns trennten, platzte der Schorf schmerzhaft von den Wunden. Nimue ging zu dem Bündel Speere hinüber und holte sich

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