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Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Titel: Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Heft seines Schwertes. In diesem Moment machte Nimue eine
    Kopfbewegung, so daß die Totenmaske von ihren hoch auf dem Kopf zusammengesteckten Haaren nach hinten glitt, und plötzlich erkannten wir, daß es nicht ihre aufgetürmten Haare waren, die ihren Kopf bedeckten, sondern eine Fledermaus, die jetzt raschelnd die schwarzen Schwingen ausbreitete und Gundleus aus grellrotem Rachen anfauchte.
    Beim Anblick der Fledermaus schrie Norwenna auf und stürzte hinüber, um ihr Kind an sich zu reißen, während wir anderen das Tier anstarrten, das in Nimues Haaren gefangen war. Es zuckte und flatterte, versuchte zu fliegen, fauchte und zappelte. Die Schlangen wanden sich, und plötzlich leerte sich der Saal. Norwenna lief zuerst hinaus, Tanaburs folgte ihr; dann eilten alle anderen, sogar der König, im Laufschritt dem Vormittagslicht hinter der östlichen Tür entgegen. Während sie flohen, blieb Nimue reglos stehen; dann rollte sie die Augen und blinzelte. Sie schritt zum Feuer, um die beiden Schlangen achtlos in die Flammen zu werfen, wo sie fauchten, sich aufbäumten und zischelnd starben. Sie befreite die Fledermaus, die sofort zwischen den Dachbalken verschwand, löste die Totenmaske von ihrem Hals und rollte sie zu einem Bündel zusammen, bevor sie sich unter den Geschenken, die Gundleus mitgebracht hatte, die römische Karaffe heraussuchte. Sekundenlang starrte sie die Karaffe an; dann bog sie ihren drahtigen Körper und schleuderte das kostbare Stück an eine Eichenholzsäule, wo es in tausend blaßgrüne Scherben zersplitterte. »Derfel?« rief sie in die plötzliche Stille hinein, die darauf folgte. »Ich weiß, daß du hier bist!«
    »Nimue?« antwortete ich furchtsam und erhob mich hinter meinem Wall aus Weidengeflecht. Ich hatte Angst. Im Feuer zischte das Schlangenfett, im Dachgebälk raschelte die Fledermaus.
    Nimue sah mich lächelnd an. »Ich brauche Wasser, Derfel«, sagte sie.
    »Wasser?« fragte ich dümmlich.
    »Um mir das Hühnerblut abzuwaschen«, erklärte Nimue.
    »Hühnerblut?«
    »Wasser«, wiederholte sie. »Neben der Tür steht ein Krug. Bring ihn mir.«
    »Da hinein?« fragte ich zutiefst erstaunt, denn ihre Geste schien anzudeuten, daß ich das Wasser in Merlins Gemächer bringen solle.
    »Warum denn nicht?« gab sie zurück und schritt durch die Tür, in der noch immer die dicke Saufeder steckte, während ich den schweren Krug hob und ihr folgte. Sie stand vor einem gehämmerten Kupferblech, in dem sich ihr nackter Körper spiegelte. Es war ihr nicht peinlich - vielleicht, weil wir als Kinder alle zusammen splitternackt herumgelaufen waren; mir aber war voll Unbehagen bewußt, daß wir beide inzwischen keine Kinder mehr waren.
    »Hier?« fragte ich sie.
    Nimue nickte. Ich setzte den Krug ab und wollte mich rückwärts zur Tür zurückziehen. »Nein, bleib«, sagte sie.
    »Bitte. Und schließ die Tür.«
    Bevor ich sie schließen konnte, mußte ich den Speer aus der Tür ziehen. Ich wagte sie nicht zu fragen, wie sie die Speerspitze durch das Eichenholz getrieben hatte, denn sie war nicht in der richtigen Stimmung für Fragen. Daher schwieg ich, während ich die Waffe entfernte und Nimue sich das Blut von der weißen Haut wusch und sich anschließend in einen schwarzen Umhang wickelte. »Komm her«, sagte sie, als sie fertig war. Gehorsam ging ich zu einer Lagerstatt aus Pelzen und Wolldecken hinüber, die auf einer niedrigen Holzplattform aufgehäuft waren, auf der sie nachts offenbar schlief. Das Lager hatte eine Art Zelt aus einem dunklen, muffigen Tuch, in dessen düsterem Schutz ich saß und sie in meinen Armen wiegte. Durch die weiche Wolle ihres Umhangs konnte ich ihre Rippen spüren. Sie weinte. Warum, das konnte ich nicht sagen; also hielt ich sie ungeschickt an mich gedrückt und sah mich in Merlins Schlafgemach um.
    Es war ein außergewöhnlicher Ort. Überall waren Holztruhen und Weidenkörbe aufeinandergetürmt, die Ecken, Winkel und Korridore bildeten, durch die eine ganze Schar magerer Kätzchen streunte. An einigen Stellen waren die Stapel in sich zusammengefallen, als hätte jemand in einem der unteren Behältnisse etwas gesucht und keine Lust gehabt, den ganzen Berg abzutragen, sondern ihn kurzerhand umgestoßen. Überall lag Staub. Die Binsenbündel auf dem Boden schienen mir seit Jahren nicht mehr ausgewechselt worden zu sein, sondern waren zum größten Teil mit Teppichen oder Tüchern abgedeckt, die nun vor sich hin moderten. Der Gestank im Raum war überwältigend:

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