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Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Titel: Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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eine Mischung aus Staub, Katzenurin, Feuchtigkeit, Fäulnis und Schimmel, unter die sich die feineren Düfte der Kräuter mengten, die in Bündeln von den Dachbalken hingen. Auf einer Seite der Tür stand ein Tisch, überhäuft mit brüchigen Pergamentrollen. Auf einem verstaubten Regal über dem Tisch waren Tierschädel angeordnet, und als sich meine Augen an das gruftgleiche Dämmerlicht gewöhnten, erkannte ich, daß sich mindestens zwei Menschenschädel darunter befanden. An einem dicken Tontopf, in dem ein Bündel mit Spinnweben behängter Speere steckte, lehnten mehrere verblaßte Schilde. An einer Wand hing ein Schwert. Eine rauchende Kohlenpfanne stand in einem Haufen grauer Asche dicht neben dem großen Kupferspiegel, an dem eigenartigerweise ein Christenkreuz hing, an dessen Balken die verzerrte Gestalt ihres toten Gottes genagelt war. Das Kreuz war - zur Vorbeugung gegen das ihm innewohnende Böse - mit einem Mistelzweig geschmückt. An einem Dachsparren hing ein dichtes Gewirr von verschiedenen Geweihen, daneben Bündel getrockneter Mistelzweige und eine baumelnde Traube schlafender Fledermäuse, deren Dung auf dem Fußboden kleine Häufchen bildete. Fledermäuse im Haus waren das böseste aller bösen Vorzeichen, doch ich nahm an, daß Menschen, die so mächtig waren wie Merlin und Nimue, sich keine Gedanken über derlei alltägliche Bedrohungen zu machen brauchten. Auf einem zweiten Tisch standen Schalen herum, Mörser, Stößel, eine Metallwaage, Kolben und wachsversiegelte Töpfe, in denen er, wie ich später entdeckte, Tau von den Gräbern Ermordeter verwahrte, Pulver aus zerstoßenen Totenschädeln, Aufgüsse von Belladonna, Alraune und Stechapfel, während eine seltsame Steinurne neben dem Tisch mit einem
    Durcheinander aus Adlersteinen, Elfenbrot, Schlangensteinen und Hexensteinen gefüllt war, dazwischen Federn, Muscheln und Kiefernzapfen. Noch nie hatte ich einen so überfüllten Raum gesehen, noch nie einen, der so schmutzig und so faszinierend war. Und ich fragte mich, ob das Gemach nebenan, Merlins Turm, genauso wundervoll-schauerlich war wie dieses.
    Nimue hatte aufgehört zu weinen und lag reglos in meinen Armen. Sie mußte das Staunen und den Abscheu gespürt haben, mit dem ich diesen Raum betrachtete. »Er wirft nie etwas weg«, erklärte sie müde, »niemals.« Ich sagte nichts, sondern tröstete und streichelte sie nur. Eine Weile blieb sie völlig erschöpft liegen; doch als meine Hand den Umhang über einer ihrer kleinen Brüste zu erforschen suchte, wandte sie sich zornig ab. »Wenn es das ist, was du willst«, sagte sie,
    »dann geh zu Sebile.« Damit raffte sie den Umhang fest um sich zusammen, stieg von der Lagerstatt und ging zu dem Tisch mit Merlins Gerätschaften.
    Verlegen stammelte ich eine Entschuldigung.
    »Unwichtig«, tat sie meine Worte ab. Draußen auf dem Tor und auch in der großen Halle nebenan konnten wir Stimmen hören, doch niemand versuchte uns zu stören. Nimue wühlte zwischen den Schalen, Töpfen und Kellen auf dem Tisch herum, bis sie gefunden hatte, was sie suchte: ein Messer aus schwarzem Stein, dessen Klinge zu knochenweißen
    Schneiden geschliffen war. Damit kehrte sie zu dem modrigen Lager zurück und kniete neben der Plattform nieder, so daß
    sie mir direkt ins Gesicht sehen konnte. Ihr Umhang hatte sich geöffnet, und ich war mir peinlich ihres nackten, überschatteten Körpers bewußt, aber sie starrte mir so unverwandt in die Augen, daß ich nichts anderes tun konnte, als ihren Blick zu erwidern.
    Eine sehr lange Zeit sagte sie gar nichts. In dieser Stille konnte ich fast mein eigenes Herz klopfen hören. Sie schien um einen Entschluß zu ringen, einen jener Entschlüsse, die so schwerwiegend sind, daß sie das Gleichgewicht eines Lebens unwiderruflich verändern können; deswegen wartete ich voll Angst, ohne mich aus meiner unbequemen Stellung erheben zu können. Ihre zerzausten schwarzen Haare rahmten ihr herzförmiges Gesicht. Nimue war weder schön noch häßlich, doch aus ihren Zügen sprachen eine Kraft und eine Lebendigkeit, die keiner äußerlichen Schönheit bedurften. Ihre Stirn war hoch und breit, ihre Augen dunkel und brennend, ihre Nase scharf, ihr Mund voll, ihr Kinn schmal. Sie war die klügste Frau, die ich jemals kennengelernt habe, aber selbst in jenen Tagen, als sie kaum mehr als ein Kind war, war sie von einer Traurigkeit erfüllt, die eben dieser Klugheit entsprang. Sie wußte so viel! Sie war entweder wissend geboren, oder die

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