Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
schändeten die Gräber unserer Ahnen, sie vergewaltigten unsere Frauen und erschlügen unsere Kinder, doch solche Dinge könnten nicht geschehen, wenn sie nicht der Wille Gottes seien. Warum aber sollte Gott seinen ganz besonders geliebten Kindern den Rücken kehren?
Weil diese Kinder, erklärte er, sich weigerten, auf seine heilige Botschaft zu hören. Die Kinder Britanniens verehrten immer noch Holz und Stein. Die sogenannten heiligen Haine seien immer noch da, und ihre Schreine bärgen immer noch die Schädel der Toten und würden mit dem Blut der Opfer gewaschen. In den Städten sehe man solche Dinge zwar nicht, sagte Sansum, denn in den Städten lebten zumeist Christen, aber die ländlichen Gebiete, warnte er uns, seien überall von Heiden verseucht. Es gebe zwar nur noch wenige Druiden in Britannien, aber in jedem Tal und auf jedem Farmland gebe es Männer und Frauen, die als Druiden aufträten, die einem toten Stein lebendige Wesen opferten und die einfache Menschen mit Zaubersprüchen und Amuletten in die Irre führten. Sogar Christen - hier funkelte Sansum die Versammlung finster an - gingen mit ihren Kranken zu heidnischen Hexen und mit ihren Träumen zu heidnischen Seherinnen, und solange diese schändlichen Praktiken Unterstützung fänden, würde Gott Britannien mit
Vergewaltigung, Metzeleien und Sachsen schlagen. Hier hielt er inne, um Luft zu holen, und ich berührte den Torques an meinem Hals, denn ich erkannte, daß dieser zeternde Mäuselord der Feind meines Lehrmeisters Merlin und meiner Freundin Nimue war. Wir hätten gesündigt, rief Sansum plötzlich und breitete die Arme aus, wodurch er auf der Tischkante ins Schwanken geriet, und müßten nun allesamt Buße tun. Die Könige von Britannien, verkündete er, müßten Christus und seine gebenedeite Mutter lieben, und nur wenn das ganze britische Volk in Gott vereint sei, werde Gott ganz Britannien vereinigen. Inzwischen reagierten die Andächtigen auf seine Predigt; sie brüllten ihre Zustimmung hinaus, baten ihren Gott lautstark um Gnade und forderten hysterisch schreiend den Tod der Druiden und ihrer Anhänger. Es war beängstigend.
»Komm«, flüsterte Nimue mir zu, »ich habe genug gehört.«
Wir rutschten von unserem Podest und schlichen uns durch die Menge, die den Vorplatz unter den äußeren Säulen der Halle füllte. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich den Umhang bis an mein bartloses Kinn emporzog, damit man meinen Torques nicht sah, als ich Nimue die Treppe hinab und auf den windigen Platz hinaus folgte, der auf allen Seiten von knisternden Fackeln beleuchtet wurde. Ein leichter Regen kam aus Westen, der die Steine des Platzes im Feuerschein glänzen ließ. Obwohl Tewdrics uniformierte Leibwachen den Platz umringten, führte mich Nimue in die Mitte des weiten Rechtecks, wo sie unvermittelt innehielt und in leises Gelächter ausbrach. Anfangs war es eher ein Kichern, das sich jedoch schnell zu lautem Lachen steigerte und sich schon bald in bissigen Hohn und schließlich in ein trotziges Heulen verwandelte, das an den Dächern von Glevum vorbei hoch in den Himmel aufstieg und in einem wilden, wahnsinnigen Kreischen endete, so animalisch wie der Todesschrei eines in die Enge getriebenen wilden Tieres. Und während sie immer weiter kreischte, drehte sie sich mit der Sonne um ihre Achse, von Norden nach Osten, nach Süden, nach Westen und wieder nach Norden, und kein einziger Soldat rührte sich. Einige der Christen im Portikus des großen Gebäudes warfen uns erboste Blicke zu, griffen aber nicht ein. Denn selbst die Christen erkannten, wenn jemand von den Göttern berührt worden war, und keiner wagte es, Hand an Nimue zu legen. Als ihr der Atem ausging, sank sie erschöpft auf dem Pflaster zusammen. Sie schwieg, eine winzige Gestalt unter einem schwarzen Umhang, ein formloses Wesen, das zitternd zu meinen Füßen lag. »Ach, mein Kleiner«, sagte sie schließlich mit fast versagender Stimme, »ach, du mein Kleiner…«
»Was ist?« fragte ich sie. Ich muß gestehen, daß mir der Duft brutzelnden Schweinefleischs, der aus Uthers Halle herüberdrang, ungleich verlockender vorkam als diese Trance, die Nimue so furchtbar angegriffen hatte.
Sie streckte ihre vernarbte Linke aus, und ich zog sie auf die Füße. »Wir haben eine Chance«, erklärte sie mir mit leiser, verängstigter Stimme, »nur eine einzige Chance, und wenn wir die vertun, werden uns die Götter verlassen. Sie werden sich von uns abwenden und uns den Untieren
Weitere Kostenlose Bücher