Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
braune Tuch vom Körper des Kindes zurückschlug, sah ich den Klumpfuß.
»Hast du geglaubt, du Dummkopf«, sagte Morgan zu mir, »ich hätte zugelassen, daß unser König ermordet wird?«
Ich starrte Ralla und Gwlyddyn an und fragte mich, wie sie es hatten zulassen können, daß ihr eigener Sohn ermordet wurde. Es war Gwlyddyn, der meine stumme Frage
beantwortete. »Er ist der König«, erklärte er schlicht und zeigte auf Mordred, »während unser Sohn nur das Kind eines Zimmermanns war.«
»Und bald«, setzte Morgan zornig hinzu, »wird Gundleus entdecken, daß das Kind, das er getötet hat, zwei gesunde Füße, besitzt. Dann wird er mit jedem Mann, der ihm zur Verfügung steht, nach uns suchen. Wir gehen nach Süden.«
In Ermids Halle gab es nicht genügend Sicherheit. Der Häuptling war mit seinen Männern in den Krieg gezogen und hatte nur eine Handvoll Diener und Kinder im Dorf zurückgelassen.
Kurz vor Mittag brachen wir auf, in die grünen Wälder südlich von Ermids Ansiedlung. Einer von Ermids Jägern führte uns über schmale Pfade und geheime Wege. Wir waren dreißig, zumeist Frauen und Kinder, mit nur einem halben Dutzend waffenfähiger Männer, und auch von denen hatte nur Gwlyddyn je in der Schlacht einen Mann getötet. Die paar Narren von Druidans Truppe, die überlebt hatten, waren zu nichts zu gebrauchen, und ich hatte noch nie im Zorn gekämpft. Dennoch bildete ich jetzt, mit Hywels nacktem Schwert in meinem Gürtelstrick und dem schweren
Silurierspeer in der Rechten, die Nachhut.
Langsam zogen wir unter Eichen und Haselsträuchern dahin. Von Ermids Halle bis nach Caer Cadarn waren es nicht mehr als vier Stunden zu Fuß, obwohl wir vermutlich weit länger brauchen würden, denn wir marschierten heimlich, auf gewundenen Pfaden, und wurden durch die Kinder
aufgehalten. Morgan hatte zwar nicht gesagt, daß sie nach Caer Cadarn wollte, aber ich ahnte, daß die königliche Zuflucht ihr Ziel war, denn dort würden wir vermutlich Soldaten aus Dumnonia finden. Leider würde Gundleus wohl dieselbe Schlußfolgerung ziehen, und er war nicht weniger verzweifelt als wir. Morgan, die scharfsinnig erkannt hatte, wie schlecht die Welt war, argwöhnte, daß der silurische König diesen Krieg schon seit dem Hohen Rat geplant und nur Uthers Tod abgewartet hatte, um mit Gorfyddyd diesen Überfall zu unternehmen. Wir waren allesamt getäuscht worden. Da wir Gundleus für einen Freund hielten, hatte niemand mehr seine Grenzen bewacht, und nun zielte Gundleus auf nichts Geringeres als den Thron von Dumnonia selbst. Aber um diesen Thron zu erringen, erklärte uns Morgan, brauche er mehr als nur eine Truppe von zwanzig Reitern, daher würden seine Speerkämpfer schon jetzt mit Sicherheit versuchen, ihren König im Eilmarsch auf der langen Römerstraße einzuholen, die an Dumnonias Nordküste begann. Die Silurier waren in unserem Land, doch bevor sich Gundleus des Sieges sicher sein konnte, mußte er Mordred umbringen. Also mußte er uns finden, denn sonst würde sein ganzer wagemutiger Plan fehlschlagen.
Der dichte Wald dämpfte unsere Schritte. Hier und da flatterte eine Taube durchs hohe Laub, und manchmal hämmerte ein Specht an einem nahen Baum. Einmal hörten wir lautes Getöse und Getrampel im Gebüsch, und wir alle erstarrten, weil wir fürchteten, es sei ein silurischer Reiter, aber es war nur ein Keiler mit riesigen Hauern, der auf die Lichtung getrabt kam, einen kurzen Blick auf uns warf und sich wieder davonmachte. Mordred schrie und verweigerte Rallas Brust. Auch einige der kleineren Kinder weinten vor Angst und Müdigkeit, verstummten aber, als Morgan drohte, sie alle in Stinkkröten zu verwandeln.
Nimue hinkte vor mir her. Ich wußte, daß sie Schmerzen litt, aber sie klagte kein einziges Mal. Manchmal weinte sie lautlos vor sich hin und wollte sich durch nichts, was Lunete sagte, trösten lassen. Lunete war ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen, im selben Alter wie Nimue und ihr vom Aussehen her ziemlich ähnlich, aber es mangelte ihr an Nimues Kenntnissen und übersinnlichen Fähigkeiten. Wenn Nimue einen Bach sah, wußte sie sofort, ob Wassergeister darin wohnten, während Lunete lediglich einen guten Platz zum Wäschewaschen sah. Nach einer Weile fiel Lunete ein wenig zurück und gesellte sich zu mir. »Was wird nun aus uns werden, Derfel?« fragte sie mich.
»Ich weiß es nicht.«
»Wird Merlin kommen?«
»Das hoffe ich«, antwortete ich ihr, »vielleicht kommt ja sogar Arthur.« Ich
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