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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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derselben Richtung, wehte er mir Schnee gegen die rechte Wange. Der Feuerwehrmann saß vor mir wie ein Berg und versperrte mir die Sicht auf die Kruppe des ersten Pferdes. Die Gäule griffen tatsächlich flott aus, und der Schlitten rumpelte durch die Schlaglöcher. Es rüttelte mich durch, rasch wurde mir warm, ich dachte an die kruppöse Lungenentzündung und an das Mädchen, das vielleicht einen Kantenbruch und Splitter im Gehirn hatte …
    »Feuerwehrpferde?« fragte ich aus meinem Schaffellkragen.
    »Mmmm …«, brummte der Fuhrmann, ohne sich umzudrehen.
    »Was hat der Doktor mit ihr gemacht?«
    »Er hat … mmm … weißte, er hat auf Geschlechtskrankheiten gelernt … mmm …«
    Mmmm …, summte der Schneesturm in einem Wäldchen, dann pfiff er von der Seite, bewarf mich mit Schnee  … Ich wurde gewiegt, gewiegt, gewiegt … bis ich auf einmal
im Umkleideraum des Moskauer Sandunow-Bads war. Im Pelzmantel, Dampf umhüllte mich. Dann leuchtete eine Fackel auf, Kälte schlug herein. Ich öffnete die Augen, sah einen Helm blutrot glänzen, dachte an eine Feuersbrunst … Ich wurde wach und begriff, daß ich angekommen war. Vor mir sah ich ein weißes Gebäude mit Säulen, offensichtlich aus der Zeit Nikolaus’ I. Dichte Finsternis ringsum. Feuerwehrleute begrüßten mich, die Flamme tanzte über ihren Köpfen. Ich holte die Uhr unterm Schafpelz hervor und sah, daß es fünf war. Wir waren also nicht eine, sondern zweieinhalb Stunden gefahren.
    »Macht mir gleich die Pferde für die Rückfahrt fertig«, sagte ich.
    »Jawohl«, antwortete der Fuhrmann.
    Verschlafen und unter der Lederjacke naß wie von einem Brustwickel, betrat ich den Flur. Eine Wandlampe warf einen Lichtstreifen auf den gestrichenen Fußboden.
    Und nun kam ein blonder junger Mann in scharf gebügelten Hosen, gehetzt blickend, auf mich zugelaufen. Der schwarzgetupfte weiße Schlips flatterte, das Chemisett sprang vor, das Jackett war nagelneu, mit Falten wie aus Metall.
    Er fuchtelte mit den Armen, klammerte sich an mich und stieß leise Schreie aus:
    »Lieber … Doktor … schnell … sie stirbt. Ich hab sie umgebracht.« Er stierte mit ernsten schwarzen Augen vor sich hin und sagte ins Leere: »Ich bin ein Mörder, ja, das bin ich.«
    Dann schluchzte er auf, zerrte an seinen schütteren Haaren, und ich sah ihn wirklich ganze Strähnen um die Finger wickeln und ausreißen.
    »Hören Sie auf«, sagte ich zu ihm und preßte ihm den Arm.
    Jemand zog ihn von mir weg. Ein paar Frauen eilten auf mich zu.
    Jemand nahm mir den Pelz ab, dann wurde ich über festtäglich gescheuerte Dielen zu einem weißen Bett geführt.
Von einem Stuhl erhob sich ein blutjunger Arzt. Er blickte zerquält und ratlos. Für einen Moment blitzte in seinen Augen Verwunderung auf, daß ich ebenso jung war wie er selbst. Überhaupt waren wir wie zwei Porträts von ein und derselben Person aus demselben Jahr. Dann aber bekundete er mir eine derartige Freude, daß er fast schluchzte.
    »Wie ich mich freue … Collega … da … sehen Sie, der Puls läßt nach. Ich bin eigentlich Venerologe. Ich freue mich so, daß Sie gekommen sind …«
    Auf dem Tisch lagen auf einem Streifen Mull eine Spritze und etliche Ampullen mit gelbem Öl. Ich hörte den Kontoristen draußen schluchzen, dann wurde die Tür geschlossen, hinter mir erhob sich eine weißgekleidete Frau. Das Schlafzimmer war halbdunkel, die Lampe seitlich mit einem grünen Lappen verhängt. In grünlichem Schatten lag auf dem Kissen ein papierweißes Gesicht. Es war von auseinanderfallenden blonden Strähnen umrahmt. Die Nase sah spitz aus, in den Nasenlöchern steckten blutgerötete Wattepfropfen.
    »Puls«, flüsterte mir der Arzt zu.
    Ich ergriff die leblose Hand, legte mit bereits gewohnter Geste die Finger auf den Puls und zuckte zusammen. Unter meinen Fingern zitterte es ganz sacht und häufig, hörte immer wieder auf, zog sich in die Länge. Mir wurde kalt um den Magen wie stets, wenn ich dem Tod ins Auge sah. Ich hasse ihn. Es gelang mir noch, die Spitze einer Ampulle abzubrechen und das fettige Öl aufzuziehen. Aber die Injektion unter die Haut des Mädchenarms geschah schon mechanisch und hatte keinen Sinn mehr.
    Der Unterkiefer zuckte, sie schien zu ersticken, dann sank das Kinn herab, der Körper spannte sich unter der Decke, erstarrte gleichsam, wurde schlaff. Das letzte Pochen des Pulses schmolz unter meinen Fingern.
    »Ex«, sagte ich dem Arzt ins Ohr.
    Die weißgekleidete grauhaarige Frau

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