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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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sterben … Solchermaßen mich selbst beklagend, lag ich in der Finsternis, wie lange, weiß ich nicht. Ich fand mich auch nicht in einem Bad wieder, sondern mir wurde kalt. Kälter und immer kälter.
    Als ich die Augen öffnete, sah ich den schwarzen Rücken, dann merkte ich, daß wir nicht fuhren, sondern standen.
    »Sind wir schon da?« fragte ich und glotzte schlaftrunken umher.
    Der schwarze Fuhrmann machte eine klägliche Bewegung, dann stieg er plötzlich ab, und mir schien, daß es ihn nach allen Seiten wirbelte. Ohne jeden Respekt sagte er zu mir:
    »Von wegen schon da! Hätten Sie man auf die Leute gehört! Sie sehen doch, was los ist! Wir gehen drauf und die Pferde auch.«
    »Haben wir etwa den Weg verloren?« Es überrieselte mich kalt.
    »Ich höre immer Weg«, antwortete der Fuhrmann verdrießlich, »die ganze weite Welt ist jetzt unser Weg. Draufgehen für nichts und wieder nichts … Vier Stunden fahren wir schon, und wohin … Sie sehen doch, was los ist …«
    Vier Stunden. Ich wurde kribbelig, befühlte die Uhr, holte Streichhölzer hervor. Wozu? Es nützte nichts, kein
Hölzchen brannte. Ich riß es an, es glühte auf – und war sofort wieder aus.
    »Vier Stunden, sag ich«, sprach der Fuhrmann grabestraurig, »was jetzt?«
    »Wo sind wir denn?«
    Die Frage war so dumm, daß der Fuhrmann eine Antwort für überflüssig hielt. Er wandte sich nach verschiedenen Seiten, doch mir schien, als stünde er unbeweglich und ich würde mitsamt dem Schlitten gedreht. Ich kraxelte hinaus, und der Schnee bei der Kufe ging mir bis zum Knie. Das hintere Pferd steckte bis zum Bauch im Schnee. Seine Mähne hing herab wie bei einer barhäuptigen Frau.
    »Sind die von selbst stehengeblieben?«
    »Ja. Die Tiere sind erschöpft.«
    Auf einmal fielen mir irgendwelche Erzählungen ein, und ich empfand Groll auf Lew Tolstoi.
    Der hatte gut reden in Jasnaja Poljana, dachte ich, den hat keiner zu einem Sterbenden geholt … Ich bemitleidete den Feuerwehrmann und mich selber. Dann flackerte noch einmal wilde Angst in mir auf. Aber ich erstickte sie in der Brust.
    »Kleinmut ist das«, murmelte ich durch die Zähne.
    Und stürmische Energie wuchs in mir.
    »Hören Sie, Onkel«, sagte ich und fühlte meine Zähne kalt werden, »wir dürfen nicht aufgeben, sonst gehen wir tatsächlich zum Teufel. Die Pferde haben ein Weilchen gestanden und verschnauft, jetzt müssen wir weiter. Gehen Sie nach vorn und nehmen Sie das erste Pferd am Zügel, ich lenke. Wir müssen hier raus, sonst schneit es uns zu.«
    Die Ohrenklappen der Mütze sahen verzweifelt aus, aber der Fuhrmann watete nach vorn. Humpelnd und einsinkend erreichte er das vordere Pferd. Unser Gespann kam mir endlos lang vor. Die Gestalt des Fuhrmanns verschwamm mir vor den Augen, in die es mir trockenen Stöberschnee blies.
    »Hüüüh«, stöhnte er.
    »Los! Los!« schrie ich und klappte mit den Zügeln.

    Langsam stapfend setzten sich die Pferde in Bewegung. Der Schlitten schwankte wie auf einer Woge. Bald hoch aufragend, bald tief einsinkend, arbeitete sich der Fuhrmann vorwärts.
    Etwa eine Viertelstunde lang ging es in dieser Weise weiter, bis ich endlich spürte, daß der Schlitten über glatteren Boden knirschte. Freude sprang in mir auf, als ich die hinteren Hufe des Pferdes aufblitzen sah.
    »Es ist flacher, wir haben die Straße«, schrie ich.
    »Ho … ho …«, antwortete der Fuhrmann, humpelte auf mich zu und wurde sogleich größer.
    »Scheint wirklich die Straße zu sein«, sagte er mit vor Freude flirrender Stimme. »Wenn wir bloß nicht noch mal abkommen. … Vielleicht …«
    Wir wechselten die Plätze. Die Gäule griffen munterer aus. Der Schneesturm schien sich geduckt und nachgelassen zu haben. Über uns und rechts und links war jedoch noch immer nichts als Trübnis. Ich hatte schon keine Hoffnung mehr, das Krankenhaus zu erreichen. Hauptsache, wir kamen irgendwohin. Schließlich führt jede Straße zu einem bewohnten Ort.
    Plötzlich zuckten die Pferde zusammen und griffen noch lebhafter aus. Ich freute mich, denn ich wußte nicht den Grund.
    »Vielleicht spüren sie eine Behausung?« fragte ich.
    Der Fuhrmann gab keine Antwort. Ich richtete mich im Schlitten auf und hielt Ausschau. Ein seltsamer Laut, wehmütig und bösartig, kam aus der Finsternis und verstummte sofort wieder. Ich hatte ein unangenehmes Gefühl und mußte an den Kontoristen denken, der den Kopf auf die Arme gelegt und dünn gewinselt hatte. Rechter Hand unterschied ich auf

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