Arztgeschichten
warf sich über die glatte Decke, schmiegte sich an und brach in Schluchzen aus.
»Leise, leise«, sagte ich ihr ins Ohr, und der Arzt warf einen gequälten Blick auf die Tür.
»Er hat mich ganz fertiggemacht«, sagte er kaum hörbar.
Wir verfuhren folgendermaßen: ließen die weinende Mutter im Schlafzimmer, sagten niemandem etwas und führten den Kontoristen ins hinterste Zimmer.
Hier sagte ich zu ihm:
»Lassen Sie sich von mir eine Injektion machen, sonst können wir nichts tun. Sie quälen uns, stören uns bei der Arbeit!«
Da willigte er ein; leise weinend zog er das Jackett aus, wir rollten den Ärmel seines Bräutigamhemdes hoch und spritzten Morphium. Der Arzt ging zu der Toten, als wolle er ihr helfen, und ich blieb bei dem Kontoristen.
Das Morphium wirkte schneller, als ich erwartet hatte. Nach einer Viertelstunde schon wurde sein Wehklagen leiser und zusammenhangloser, dann ließ er das verheulte Gesicht auf die Arme sinken und schlief ein. Das Hin und Her, das Weinen, Rascheln und gedämpfte Jammern vernahm er nicht mehr.
»Hören Sie, Collega, jetzt zu fahren ist gefährlich. Sie könnten sich verirren«, flüsterte mir der Arzt im Flur zu. »Bleiben Sie über Nacht hier …«
»Nein, ich kann nicht. Ich fahre unter allen Umständen. Man hat mir versprochen, mich zurückzubringen.«
»Das wird man auch tun, aber schauen Sie doch nur …«
»Ich habe drei Typhuskranke, die kann ich nicht im Stich lassen. Ich muß nachts nach ihnen sehen.«
»Na, Sie müssen’s wissen …«
Er verdünnte Sprit mit Wasser und ließ ihn mich trinken. Im Flur aß ich ein Stück Schinken. Mir wurde warm im Magen, und die Wehmut im Herzen ließ ein wenig nach. Ein letztes Mal noch ging ich ins Schlafzimmer und warf einen Blick auf die Tote, dann sah ich noch einmal nach dem Kontoristen, ließ dem Arzt eine Ampulle Morphium da und trat eingemummt auf die Vortreppe.
Hier pfiff es, die Pferde ließen den Kopf hängen, Schnee peitschte auf sie ein. Die Flamme der Fackel tanzte.
»Sie kennen den Weg?« fragte ich, den Kragen vor den Mund ziehend.
»Den Weg kenn ich«, antwortete der Fuhrmann tief betrübt (den Helm hatte er nicht mehr auf), »aber Sie sollten hier übernachten …«
Selbst den Ohrenklappen seiner Mütze war anzusehen, daß er ums Verrecken nicht fahren mochte.
»Sie sollten hierbleiben«, fügte ein zweiter hinzu, der die tosende Fackel hielt, »draußen sieht es jetzt böse aus.«
»Zwölf Werst«, brummte ich mürrisch, »das schaffen wir. Ich habe Schwerkranke.« Und ich stieg in den Schlitten.
Zugegeben, ich fügte nicht hinzu, daß allein der Gedanke, ohnmächtig und nutzlos in dem Unglückshaus zu bleiben, mir unerträglich war.
Der Fuhrmann ließ sich ergeben auf den Sitz sinken und rutschte zurecht, dann glitten wir zum Tor hinaus. Die Fackel verschwand, wie vom Erdboden verschluckt. War vielleicht auch erloschen. Doch gleich darauf begann mich etwas anderes zu interessieren. Als ich mich mühsam umdrehte, war nicht nur die Fackel, sondern das ganze Schalometjewo mit all seinen Gebäuden verschwunden wie in einem Traum. Mir gab es einen unangenehmen Stich.
Ein starkes Stück, dachte ich, hatte es vielleicht auch gemurmelt. Für einen Moment steckte ich die Nase hinaus und verhüllte sie gleich wieder, so scheußlich war es. Die ganze Welt hatte sich zu einem Knäuel geballt, und an diesem Knäuel zerrte es von allen Seiten.
Umkehren? Dieser Gedanke zuckte mir durch den Kopf. Aber ich verscheuchte ihn, wühlte mich tiefer in das Heu des Schlittenbodens, lag zusammengekrümmt wie in einem Boot und schloß die Augen. Sogleich sah ich vor mir den grünen Lappen an der Lampe und das weiße Gesicht. Plötzlich wurde es hell in meinem Kopf: Schädelbasisbruch … Ja, ja, das war es! Mit Sicherheit wußte ich,
diese Diagnose stimmte. Ein Gedankenblitz. Und was nützte er? Nichts mehr, und vorher hätte er auch nichts genützt. Was soll man da schon machen? Grauenvolles Schicksal! Wie dumm und schrecklich ist es, auf der Welt zu leben! Was mag jetzt im Hause des Agronomen vorgehen? Schon der Gedanke daran würgte, stimmte wehmütig. Dann tat ich mir selber leid: Wie schwer ist doch mein Leben. Die Leute schlafen jetzt, die Öfen sind geheizt, und ich habe mich wieder einmal nicht zu Ende waschen können. Der Schneesturm treibt mich vor sich her wie ein Blatt. Und wenn ich zu Hause ankomme, holen sie mich womöglich noch mal irgendwohin. Dann lieber eine Lungenentzündung und hier
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