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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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seltener …
    »Aaah … laß mich! Ah …«, murmelte sie dumpf.
    Schwächer, immer schwächer. In dem weißen Zimmer wurde es still. Noch fielen die durchsichtigen Tropfen auf den weißen Mull.
    »Pelageja Iwanowna, Puls?«
    »Gut.«
    Pelageja Iwanowna hob den Arm der Frau an und ließ ihn los. Leblos wie ein Seil plumpste er auf das Laken. Der Feldscher nahm die Maske weg und besah die Pupille. »Sie schläft.«

     
    Eine Blutlache. Beide Arme bis zum Ellenbogen blutig. Blutflecke auf dem Laken. Rote Gerinnsel und Mullknäuel. Pelageja Iwanowna schüttelt und beklatscht den Säugling. Axinia klirrt mit Eimern, gießt Wasser in Schüsseln. Der Säugling wird abwechselnd in kaltes und heißes Wasser getaucht. Er schweigt, sein Kopf pendelt leblos wie an einem Faden. Aber plötzlich hören wir eine Art Knarren oder Seufzer, dann den schwachen, heiseren ersten Schrei.
    »Er lebt, er lebt«, murmelt Pelageja Iwanowna und legt den Säugling auf ein Kissen.
    Auch die Mutter lebt. Glücklicherweise ist nichts Schlimmes passiert. Ich fühle ihr den Puls. Ja, er ist deutlich und gleichmäßig. Behutsam rüttelt der Feldscher sie an der Schulter und sagt:
    »Na los, Tante, aufwachen.«
    Die blutigen Laken werden weggenommen, die Mutter erhält ein sauberes, der Feldscher und Axinia tragen sie in ein Krankenzimmer. Der gewindelte Säugling schwebt auf dem Kissen davon. Sein runzliges braunes Gesichtchen schaut aus dem weißen Mull, und das dünne weinerliche Piepsen hört nicht auf.
    Wasser läuft aus den Hähnen. Anna Nikolajewna zieht gierig an der Zigarette, kneift vor dem Rauch die Augen zu, hustet.
    »Gut haben Sie die Wendung gemacht, Doktor, so sicher.«
    Ich bürste mir eifrig die Hände und werfe ihr einen Seitenblick zu, ob sie auch nicht lacht. Aber ihr Gesicht zeigt den ehrlichen Ausdruck stolzer Genugtuung. Ich bin von Herzen froh. Ich blicke auf die blutige und weiße Unordnung ringsum, auf das rote Wasser in der Schüssel und fühle mich als Sieger. Nur in der Tiefe regt sich der Wurm des Zweifels.
    »Erst mal sehen, was weiter wird«, sage ich.
    Anna Nikolajewna starrt mich verwundert an.

    »Was kann noch sein? Alles gut verlaufen.«
    Ich murmele etwas. Eigentlich liegt mir folgendes auf der Zunge: Wer weiß, ob bei der Mutter alles heil ist, ob ich ihr nicht bei der Operation einen Schaden getan habe. Das ist es, was mir auf dem Herzen lastet. Meine Kenntnisse in Geburtshilfe sind so ungenau, so angelesen und lückenhaft! Ruptur? Wie äußert sie sich? Und wann macht sie sich bemerkbar, sofort oder vielleicht erst später? Nein, lieber nicht über dieses Thema reden.
    »Nun, alles mögliche kann sein«, sage ich, »eine Infektion ist nicht ausgeschlossen.« Dieser Satz aus dem Lehrbuch kommt mir eben in den Sinn.
    »Ach so!« sagt Anna Nikolajewna gedehnt und beruhigt. »Na, mit Gottes Hilfe wird nichts sein. Woher auch? War doch alles steril und sauber.«
     
    Es war kurz nach eins, als ich in meine Wohnung zurückkehrte. Auf dem Tisch im Arbeitszimmer lag im Lichtkreis der Lampe friedlich der Döderlein, aufgeschlagen bei dem Kapitel »Die Gefahren der Wendung«. Eine Stunde noch saß ich da, trank kalten Tee und blätterte in dem Buch. Und nun geschah etwas Interessantes: Die früher unklaren Stellen wurden ganz begreiflich, füllten sich gleichsam mit Licht, und hier in der Einöde, im nächtlichen Lampenschein, begriff ich, was das bedeutet – wirkliches Wissen.
    Auf dem Lande kann man große Erfahrungen sammeln, dachte ich beim Einschlafen, aber man muß lesen, lesen, soviel wie möglich lesen …
     
    1925

Der Schneesturm
    Horch – es tönt wie Wolfesheulen,
horch – nun weint es wie ein Kind.
    Die ganze Geschichte fing, wie die allwissende Axinia mir erzählte, damit an, daß der Kontorist Paltschikow aus Schalometjewo sich in die Agronomentochter verliebte. Es war eine flammende Liebe, die dem Ärmsten das Herz versengte. Er fuhr in die Kreisstadt Gratschowka und bestellte sich einen Anzug. Der Anzug gelang blendend; die grauen Streifen der Kontorhose mögen das Schicksal des Unglücklichen entschieden haben. Die Agronomentochter willigte ein, seine Frau zu werden.
    Ich, Arzt im Krankenhaus N., in dem und dem Gouvernement, war nach einer Beinamputation bei einem jungen Mädchen, das in die Flachsbreche geraten war, so berühmt geworden, daß ich unter der Last meines Ruhmes nachgerade zugrunde ging. Täglich kamen an die hundert Bauern über den glattgefahrenen Schlittenweg in meine

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