Arztgeschichten
Demjan Lukitsch feierlich.
»Erlauben Sie, ich verstehe nicht …«
»Eine weise Frau!« antwortete Pelageja Iwanowna. »Eine Quacksalberin hatte ihr das beigebracht. Die Entbindung ist kompliziert, hatte sie gesagt. Das Kindchen will nicht raus, also muß man es locken. Darum hat sie’s mit etwas Süßem versucht.«
»Entsetzlich«, sagte ich.
»Sie geben den Kreißenden auch Haare zu kauen«, sagte Anna Nikolajewna.
»Warum?«
»Weiß der Teufel. Drei wurden so zu uns gebracht. Da liegt nun die arme Frau und spuckt. Der ganze Mund voll Haare. Die Entbindung soll dadurch leichter verlaufen …«
Die Augen der Hebammen glänzten erinnerungsschwer. Lange noch saßen wir am Feuer und tranken Tee, und ich hörte wie verzaubert zu. Ich erfuhr, daß Pelageja Iwanowna jedesmal, wenn sie eine Kreißende aus einem Dorf in unser Krankenhaus holte, in ihrem Schlitten hinterherfuhr, damit die Leute es sich unterwegs nicht anders überlegten und die Frau zur Quacksalberin zurückbrachten. Ich erfuhr, daß einmal eine Kreißende bei falscher Kindslage mit den Füßen an der Decke aufgehängt wurde, damit sich das Kind wendete. Ich erfuhr, daß eine Quacksalberin aus Korobowo, die vom Aufstechen der Fruchtblase durch die
Ärzte gehört hatte, einem Kind mit dem Tafelmesser den Kopf zerschnitt, so daß selbst ein berühmter und geschickter Mann wie Liponti es nicht retten konnte und gerade noch die Mutter durchbrachte. Ich erfuhr …
Der Ofen war längst zu. Meine Gäste zogen sich in ihren Seitenflügel zurück. Einige Zeit noch sah ich Anna Nikolajewnas Fensterchen matt leuchten, dann erlosch auch bei ihr das Licht. Alles verschwand. In das Schneegestöber mengte sich ein steifer Dezemberwind, und der schwarze Vorhang entzog Himmel und Erde meinen Blicken.
Ich ging in meinem Arbeitszimmer auf und ab, der Fußboden knarrte unter meinen Füßen, der Kachelofen strahlte Wärme aus, irgendwo knabberte geschäftig eine Maus.
Nein, dachte ich, solange mich das Schicksal in dieser Einöde festhält, werde ich gegen die ägyptische Finsternis ankämpfen. Raffinadezucker … unglaublich!
In meinen Träumen beim Schein der grünen Lampe entstand eine riesige Universitätsstadt, darin eine Klinik, in der Klinik ein riesiger Saal, gefliester Fußboden, glänzende Wasserhähne, sterile weiße Laken, ein Assistenzarzt mit sehr klugem ergrauendem Spitzbärtchen …
Wenn es in solchen Momenten klopft, regt man sich auf und bekommt Angst. Ich zuckte zusammen …
»Wer ist das, Axinia?« fragte ich, über das Treppengeländer gebeugt. (Die Arztwohnung hatte zwei Etagen: Oben lagen das Arbeitszimmer und die Schlafräume, unten das Eßzimmer, eine Stube unbekannter Bestimmung und die Küche, in welcher Axinia, die Köchin, und ihr Mann, der ständige Krankenhauswächter, untergebracht waren.)
Der schwere Riegel klirrte, unten huschte der Schein einer Laterne umher, Kälte strömte herauf. Dann meldete Axinia: »Ein Kranker ist eingetroffen.«
Ehrlich gesagt, ich freute mich. Zum Schlafen hatte ich noch keine Lust, und das Mäusegeknabber und die Erinnerungen hatten mir ein etwas wehmütiges Einsamkeitsgefühl gegeben. Ein Kranker, also keine Frau, also war das Schlimmste, eine Geburt, ausgeschlossen.
»Kann er gehen?«
Axinia bejahte gähnend.
»Na, dann soll er in mein Arbeitszimmer kommen.«
Die Treppe knarrte lange. Ein stattlicher Mann von großem Körpergewicht kam herauf. Ich saß bereits an meinem Schreibtisch, bemüht, meine vierundzwanzigjährige Lebhaftigkeit möglichst nicht den Berufsrahmen des Äskulapjüngers sprengen zu lassen. Meine Rechte ruhte auf dem Stethoskop wie auf einem Revolver.
Eine Gestalt in Schafpelz und Filzstiefeln zwängte sich zur Tür herein. Seine Mütze trug der Mann in der Hand.
»Warum kommen Sie denn so spät, Väterchen?« fragte ich würdevoll, um den Schein zu wahren.
»Entschuldigen Sie, Bürger Doktor«, antwortete der Mann mit angenehmem weichem Baß, »aber der Schneesturm ist das reinste Elend! Er hat uns aufgehalten, was will man machen, entschuldigen Sie bitte!«
Ein höflicher Mensch, dachte ich mit Vergnügen. Der Mann gefiel mir sehr, und selbst der dichte rote Bart machte mir einen guten Eindruck. Offensichtlich erfreute sich der Bart einer gewissen Pflege. Sein Besitzer stutzte ihn nicht nur, sondern behandelte ihn auch mit einer Substanz, in welcher ich, obwohl erst kurze Zeit Landarzt, unschwer billiges Öl erriet.
»Was gibt’s? Legen Sie den Pelz ab. Wo kommen
Weitere Kostenlose Bücher