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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Sie her?«
    Wie ein Berg türmte sich der Pelz auf dem Stuhl.
    »Das Fieber hat mich zu sehr gequält«, antwortete der Patient und warf mir einen traurigen Blick zu.
    »Fieber? Aha! Sie kommen aus Dulzewo?«
    »Jawohl, ich bin der Müller.«
    »Nun, und wie quält es Sie? Erzählen Sie!«
    »Jeden Tag um Mitternacht bekomme ich Kopfschmerzen, dann wird mir glühend heiß … An die zwei Stunden habe ich Fieber, dann hört es wieder auf.«
    Die Diagnose ist fertig! klang es siegesbewußt in meinem Kopf.

    »Und in den übrigen Stunden geht’s Ihnen gut?«
    »Die Beine sind schwach.«
    »Aha … Knöpfen Sie auf! Hm … soso.«
    Bei der Untersuchung bezauberte mich der Kranke geradezu. Nach all den unvernünftigen alten Weiblein und ängstlichen Halbwüchsigen, die entsetzt vor dem Metallspatel zurückwichen, und nach dem morgendlichen Spaß mit dem Belladonna konnte mein Universitätsblick auf dem Müller ausruhen.
    Seine Rede war vernünftig. Außerdem konnte er lesen und schreiben, und jede seiner Gesten war durchdrungen von Hochachtung für die Wissenschaft, die ich als meine Lieblingswissenschaft ansehe – die Medizin.
    »Hören Sie zu, mein Lieber«, sagte ich, während ich die ungeheuer breite, warme Brust abklopfte, »Sie haben Malaria. Wechselfieber. Ich habe gerade ein Krankenzimmer frei. Ich rate Ihnen dringend, sich bei mir hinzulegen. Wir werden Sie sorgsam beobachten. Ich behandle Sie mit Pulvern, und wenn das nicht hilft, geben wir Ihnen Spritzen. Wir werden schon damit fertig! Na? Einverstanden?«
    »Ich danke Ihnen ergebenst!« antwortete der Müller sehr höflich. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Alle sind zufrieden. Sagen, Sie helfen einem wunderbar. Ich bin auch mit den Spritzen einverstanden, wenn ich bloß gesund werde.«
    Nein, das ist wirklich ein Lichtstrahl in der Finsternis! dachte ich und setzte mich zum Schreiben an den Tisch. Ich empfand so viel Sympathie, als hätte mich nicht ein fremder Müller, sondern mein leiblicher Bruder im Krankenhaus besucht.
    Ich schrieb auf ein Rezeptformular:
    Mur. chinini 0,5
D. tal. dos. N. X
S. Müller Chudow
jeweils um Mitternacht 1 Pulver.

    Darunter setzte ich schwungvoll meinen Namenszug. Auf ein anderes Formular schrieb ich:
    »Pelageja Iwanowna, bringen Sie den Müller in Zimmer 2 unter. Er hat Malaria. Jeweils ein Chininpulver um Mitternacht. Hier haben Sie eine Ausnahme! Ein intelligenter Müller!«
    Als ich schon im Bett lag, brachte mir Axinia unter mürrischem Gähnen einen Antwortzettel:
    »Lieber Doktor, alles ausgeführt. Pel. Iw. Lobowa.«
    Ich schlief ein.
    Und erwachte.
    »Was hast du? Was ist? Was ist los, Axinia?« murmelte ich. Axinia stand in der Tür und hielt sich schamhaft einen weißgetupften dunklen Rock vor. Eine Stearinkerze beleuchtete flackernd ihr verschlafenes und besorgtes Gesicht.
    »Marja kam eben angelaufen. Pelageja Iwanowna läßt sagen, Sie möchten sofort kommen.«
    »Was ist denn los?«
    »Sie sagt, der Müller liegt im Sterben.«
    »Waas? Im Sterben? Wie ist denn das möglich?«
    Sofort fuhren meine bloßen Füße auf den kalten Fußboden, ohne die Pantoffeln zu finden. Ich brach mehrere Streichhölzer ab und fummelte lange am Brenner herum, bis endlich ein bläuliches Flämmchen aufflackerte. Die Uhr zeigte genau sechs. Was ist da passiert? Was ist passiert? Hat er etwa nicht Malaria? Aber was sonst? Der Puls ist doch wunderschön …
    Höchstens fünf Minuten später sauste ich in verdreht angezogenen Socken und in Filzstiefeln, zerzaust und mit offenem Jackett über den stockdunklen Hof nach Zimmer 2.
    Im aufgedeckten Bett saß neben dem zerknüllten Laken, nur mit Krankenhausunterwäsche bekleidet, der Müller. Ein kleines Petroleumlämpchen beleuchtete ihn. Sein roter Bart war zerrauft, die Augen kamen mir schwarz und riesengroß vor. Er schwankte wie betrunken. Voller Entsetzen blickte er um sich, atmete schwer …

    Die Nachtschwester Marja starrte offenen Mundes in sein dunkelrotes Gesicht.
    Pelageja Iwanowna, im schief angezogenen Kittel und barhäuptig, stürzte mir entgegen.
    »Doktor!« rief sie heiser. »Ich schwöre Ihnen, ich kann nichts dafür! Wer hätte auch so etwas gedacht? Sie haben doch selber geschrieben, er sei intelligent …«
    »Was ist denn los?«
    Pelageja Iwanowna schlug die Hände zusammen und sagte:
    »Stellen Sie sich vor, Doktor! Er hat sämtliche zehn Pulver Chinin auf einmal geschluckt! Um Mitternacht.«
     
    Trüb graute der Wintermorgen. Demjan Lukitsch räumte

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