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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Stich ins Herz, denn dieser Gegenstand übertraf an Größe jeden Zahn, selbst den Backenzahn eines Soldaten. Zunächst begriff ich überhaupt nichts, doch dann hätte ich fast aufgeschluchzt, denn die Zange hielt zwar tatsächlich einen Zahn mit riesenlangen Wurzeln, doch an dem Zahn hing ein gewaltiges weißgezacktes Stück Knochen.
    Ich hab ihm den Kiefer zerbrochen, dachte ich, und meine Knie gaben nach. Das Schicksal segnend, weil weder der Feldscher noch die Hebammen zugegen waren, wickelte ich die Frucht meiner verwegenen Arbeit heimlich in Mull und schob sie in die Tasche. Der Soldat wankte auf dem Hocker, die eine Hand um ein Bein des Gebärstuhls gekrampft, die andere um ein Hockerbein, und starrte mich mit vorquellenden irren Augen an. Verstört gab ich ihm ein Glas mit Kalilösung und befahl ihm:
    »Spül nach.«
    Das war eine Dummheit. Er nahm einen Schluck von der Lösung, und als er sie in die Schale ausspuckte, hatte sie sich unterwegs mit rotem Soldatenblut vermengt und erschien nun als dicke Flüssigkeit von nie gesehener Farbe.
Dann schoß ihm ein Blutstrom aus dem Mund, so daß ich erstarrte. Hätte ich dem Ärmsten mit einem Rasiermesser die Kehle aufgeschnitten, es hätte kaum heftiger sprudeln können. Ich stellte das Kaliglas weg, stürzte mich mit Mull auf den Soldaten und stopfte das Loch im Kiefer zu. Der Mull färbte sich im Nu dunkelrot, und als ich ihn herauszog, sah ich zu meinem Entsetzen, daß man in dem Loch mühelos eine große Pflaume unterbringen konnte.
    Den hab ich schön zugerichtet, dachte ich verzweifelt und zerrte lange Mullstreifen aus der Dose. Endlich versiegte der Blutstrom, und ich pinselte das Loch im Kiefer mit Jod aus.
    »Drei Stunden nichts essen«, sagte ich mit zitternder Stimme zu meinem Patienten.
    »Ich danke ergebenst«, erwiderte der Soldat und betrachtete etwas verwundert die mit seinem Blut gefüllte Schale.
    »Hör zu, Freund«, sagte ich kläglich, »morgen oder übermorgen kommst du wieder her. Verstehst du, ich muß noch mal nachsehen … Der Zahn daneben sieht verdächtig aus … Einverstanden?«
    »Ergebensten Dank«, antwortete der Soldat mürrisch und ging, sich die Wange haltend. Ich stürzte ins Sprechzimmer und saß dort eine Zeitlang, den Kopf in beiden Händen, wankend, als hätte ich selbst Zahnschmerzen. An die fünfmal holte ich den harten, blutigen Klumpen aus der Tasche und steckte ihn wieder ein.
    Eine Woche lang lebte ich wie im Nebel, magerte ab und siechte hin.
    Der Soldat kriegt eine Gangrän, eine Blutvergiftung … Verdammt noch mal! Was mußte ich mich mit der Zange aufdrängen?
    Meine Phantasie malte mir grausige Bilder. Den Soldaten fängt es an zu schütteln. Noch geht er umher, erzählt allerwärts von Kerenski und der Front, doch dann wird er immer stiller, der Sinn steht ihm nicht mehr nach Kerenski. Nun liegt er auf einem Kattunkissen und phantasiert. Er hat
vierzig Fieber. Das ganze Dorf besucht ihn. Dann liegt er mit spitzer Nase auf dem Tisch vor den Heiligenbildern.
    Im Dorf kommt Gerede auf.
    »Was hatte er?«
    »Der Doktor hat ihm ’n Zahn gezogen …«
    »Das ist es …«
    Je länger, je schlimmer. Untersuchung. Ein finsterer Mann fährt vor.
    »Haben Sie dem Soldaten einen Zahn gezogen?«
    »Ja, ich.«
    Der Soldat wird exhumiert. Gerichtsverhandlung. Schande. Ich bin schuld an seinem Tod. Und dann bin ich kein Arzt mehr, sondern ein über Bord geworfener Unglücklicher, genauer gesagt, ein gewesener Mensch.
    Der Soldat kam nicht, ich war bedrückt, der Klumpen trocknete im Schreibtisch. Ich mußte in die Kreisstadt, um das Gehalt für das Personal zu holen, in einer Woche erst, doch ich fuhr bereits nach fünf Tagen und suchte zunächst den Arzt des Kreiskrankenhauses auf. Der Mann mit dem verräucherten Bärtchen arbeitete schon fünfundzwanzig Jahre hier und hatte große Erfahrung. Am Abend saß ich bei ihm im Arbeitszimmer, trank verzagt Tee mit Zitrone und zupfte am Tischtuch, doch endlich hielt ich’s nicht mehr aus und setzte weitschweifig zu einer nebulosen, heuchlerischen Rede an, es gebe doch manchmal so Fälle  … wenn jemand einen Zahn ziehe … und dabei den Kiefer anknackse … da könne es doch zu einer Gangrän kommen, nicht wahr? Wissen Sie, ein Stück Knochen … ich habe mal gelesen …
    Der andere hörte geduldig zu und fixierte mich mit seinen ausgeblichenen Augen unter zottigen Brauen, und auf einmal sagte er:
    »Sie haben ihm das Zahnfach ausgebrochen. Sind mir ein schöner

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