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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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eingeschneit, ein geradezu überirdischer Schneesturm heulte, wir saßen zwei Tage lang im Krankenhaus Murjewo fest und schickten nicht
einmal jemanden die neun Werst nach Wosnessensk, um Zeitungen zu holen. An den Abenden tigerte ich stundenlang durchs Zimmer und war nach Zeitungen so ausgehungert wie als Kind nach Coopers »Pfadfindern«. Dennoch verdarben die englischen Manieren nicht gänzlich auf der unbewohnten Insel Murjewo, und von Zeit zu Zeit entnahm ich dem schwarzen Futteral das glänzende Spielzeug, rasierte mich träge und stolzierte glatt und sauber einher wie der stolze Insulaner. Schade bloß, daß keiner da war, meinen Anblick zu genießen.
    Moment … ja … da gab es doch noch einen Fall … ich weiß noch, ich holte den Rasierapparat hervor, und Axinia hatte mir gerade einen abgestoßenen Becher mit heißem Wasser ins Arbeitszimmer gebracht, als es unheilvoll an der Tür klopfte und ich gerufen wurde. Pelageja Iwanowna und ich fuhren, in unsere Schafpelze gewickelt, in eine schreckliche Ferne, jagten dahin wie ein schwarzes Gespenst, bestehend aus Pferden, dem Kutscher und uns, durch einen tobenden weißen Ozean. Der Schneesturm pfiff wie eine Hexe, heulte, spuckte, lachte, alles war zum Teufel gegangen oder unsichtbar geworden, und ich spürte die wohlbekannte Kälte in der Gegend des Solarplexus bei dem Gedanken, wir könnten in dieser satanisch wirbelnden Finsternis vom Weg abkommen und allesamt in der Nacht zugrunde gehen: Pelageja Iwanowna, der Kutscher, die Pferde und ich. Ich weiß noch, mir kam der närrische Gedanke, ich müßte beim drohenden Erfrieren, wenn wir halb zugeschneit waren, der Hebamme, mir und dem Kutscher Morphium injizieren. Wozu? Damit wir uns nicht so lange quälten … Du wirst auch ohne Morphium bildschön erfrieren, Doktor, antwortete mir, das weiß ich noch, eine trockene und gesunde Stimme, es nützt dir nichts … Huhuuh! Hassss! pfiff die Hexe, und der Schlitten rüttelte uns durch und durch … Nun ja, die Zeitung in der Hauptstadt würde auf der letzten Seite die Meldung bringen, so und so, in Ausübung ihrer Dienstpflichten seien Doktor Derundder, Pelageja Iwanowna, ein Kutscher
und ein Gespann Pferde ums Leben gekommen. Friede ihrer Asche in dem Meer aus Schnee. Puh … was einem so alles in den Kopf kommt, wenn einen die sogenannte Dienstpflicht stundenlang durch die Gegend schleppt …
    Wir sind nicht ums Leben gekommen, wir haben uns nicht verirrt, wir erreichten das Dorf Gristschewo, wo ich zum zweitenmal in meinem Leben eine Wendung auf den Fuß vornahm. Die Kreißende war die Frau des Dor flehrers, und während Pelageja Iwanowna und ich mit bis zum Ellbogen blutigen Armen und schweißverklebten Augen uns im Lampenlicht mit der Wendung abrackerten, hörten wir den Lehrer hinter der Brettertür stöhnend umherlaufen. Unter dem Wimmern der Mutter und seinem unablässigen Schluchzen geschah es, im Vertrauen gesagt, daß ich dem Säugling das Ärmchen brach. Das Kind kam tot zur Welt. Ach, wie mir der Schweiß den Rücken hinunterlief! Augenblicklich schoß mir durch den Kopf, gleich würde ein drohender, finsterer und riesengroßer Mann hereinstürmen und mit steinerner Stimme sagen: Aha! Man entziehe ihm das Diplom!
    Starr blickte ich auf das tote gelbe Körperchen und auf die wachsbleiche Mutter, die reglos im Chloroformrausch lag. Durch die Fensterklappe, die wir für einen Moment geöffnet hatten, um den schwülen Chloroformdunst zu vertreiben, schlug ein Streifen Schneesturm herein und verwandelte sich in eine Dampfwolke. Ich machte die Klappe zu und starrte wieder auf das hilflos baumelnde Ärmchen in den Händen der Hebamme. Ach, unbeschreiblich die Verzweiflung, in der ich allein nach Hause zurückkehrte; ich hatte Pelageja Iwanowna dagelassen, damit sie die Mutter pflegte. Im abgeflauten Schneesturm rüttelte mich der Schlitten durch, die düsteren Wälder blickten vorwurfsvoll, hoffnungslos, verzweifelt. Ich fühlte mich besiegt, zerschlagen, gewürgt von einem grausamen Schicksal. Es hatte mich in diese Einöde verschlagen und zwang mich, allein zu kämpfen, ohne jegliche Unterstützung und Beratung. Welch unermeßliche Schwierigkeiten
werde ich noch zu überstehen haben! Jederzeit kann man mir einen wer weiß wie vertrackten oder komplizierten Fall bringen, einen chirurgischen Fall zumeist, und ich muß ihm gegenübertreten mit meinem unrasierten Gesicht und muß ihn besiegen. Besiege ich ihn nicht, dann kann ich mich zermartern wie

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