Arztgeschichten
Zahnzieher. Lassen Sie den Tee stehen, trinken wir einen Wodka vor dem Abendbrot.«
Damit verschwand mein Peiniger, der Soldat, für immer aus meinem Kopf.
Ach, Spiegel der Erinnerung! Ein Jahr ist vergangen. Wie komisch, jetzt an den Zahn zu denken! Allerdings werde ich nie so gut Zähne ziehen wie Demjan Lukitsch. Woher auch! Er zieht täglich an die fünf und ich nur einen in vierzehn Tagen. Trotzdem kann ich es so gut, wie viele es können möchten. Ich breche kein Zahnfach mehr aus, und passierte es mir wieder, so würde ich nicht den Kopf verlieren.
Aber was sind schon Zähne! Was habe ich in diesem unwiederholbaren Jahr nicht alles gesehen und gemacht!
Der Abend fließt ins Zimmer. Schon brennt die Lampe, und ich mache, in bitteren Tabaksqualm gehüllt, Bilanz. Mein Herz ist voll Stolz. Ich habe zwei Oberschenkel amputiert, und die Zehen kann ich nicht mehr zählen. Ausschabungen stehen hier achtzehn notiert. Ein Bruch. Ein Luftröhrenschnitt. Ich habe ihn gemacht, und er verlief erfolgreich. Wie viele riesige Eiterbeulen habe ich geöffnet! Und dann die Bandagen bei Knochenbrüchen. Gips- und Stärkebandagen. Verrenkungen gerichtet. Intubationen. Entbindungen. Kommen Sie, womit Sie wollen. Einen Kaiserschnitt werde ich nicht machen, das stimmt. Den kann man in die Stadt schicken. Aber Zangengeburten, Wendungen – soviel Sie wollen.
Ich erinnere mich an mein Staatsexamen in Gerichtsmedizin. Der Professor sagte:
»Sprechen Sie über Schußwunden aus geringer Entfernung.«
Ich legte beherzt los, sprach lange, und vor meinem visuellen Gedächtnis schwebte eine Seite aus einem dickleibigen Lehrbuch vorüber. Endlich war ich ausgepumpt, der Professor musterte mich angewidert und sagte knarrend:
»Bei Schußwunden aus geringer Entfernung passiert nichts von allem, was Sie erzählt haben. Wieviel Einsen haben Sie schon?«
»Fünfzehn«, antwortete ich.
Er setzte eine Drei neben meinen Namen, und ich ging in Nebel und Schande davon …
Ging davon, fuhr bald darauf nach Murjewo, und nun bin ich hier allein. Weiß der Teufel, was bei Schußwunden aus geringer Entfernung passiert, aber als hier vor mir auf dem Operationstisch ein Mann mit blasig-rosa Blutschaum vor dem Mund lag, verlor ich da etwa den Kopf? Nein, obwohl seine ganze Brust aus geringer Entfernung von Wolfsschrot zerfetzt war, ich die Lunge sehen konnte und das Brustfleisch zerrissen herunterhing. Anderthalb Monate später verließ er das Krankenhaus lebendig. In der Universität war ich kein einziges Mal für würdig befunden worden, eine Geburtszange in die Hand zu nehmen, hier hingegen habe ich sie, freilich zitternd, sehr bald benutzt. Ich will nicht leugnen, daß ich einen merkwürdigen Säugling holte: Die eine Kopfhälfte war geschwollen, blaurot, ohne Auge. Mir wurde eiskalt. Dumpf nur hörte ich Pelageja Iwanownas Trostworte:
»Macht nichts, Doktor, Sie haben ihm das eine Zangenblatt über das Auge gelegt.«
Ich zitterte zwei Tage lang, dann sah der Kopf normal aus.
Was habe ich nicht für Wunden vernäht! Was habe ich nicht alles gesehen an eitrigen Rippenfell- und Lungenentzündungen, an Typhus, Krebs, Syphilis, Brüchen (und sie zurückgedrängt), Hämorrhoiden, Sarkomen!
Hingerissen schlage ich das Patientenbuch auf und addiere eine Stunde lang. Dann bin ich fertig. In dem einen Jahr bis zum heutigen Abend habe ich 15 613 Patienten behandelt. An stationären Fällen hatte ich 200, und gestorben sind nur sechs.
Ich klappe das Buch zu und gehe schlafen. Als vierundzwanzigjähriger Jubilar liege ich im Bett und denke im Einschlafen daran, welch riesige Erfahrung ich jetzt besitze. Was habe ich zu fürchten? Nichts. Ich habe Erbsen aus Knabenohren geholt, habe geschnitten, geschnitten, geschnitten … Meine Hand ist mutig, sie zittert nicht. Ich habe alle möglichen Vertracktheiten gesehen und habe gelernt, Weiberreden zu verstehen, die kein Mensch versteht. Ich kenne mich darin aus wie Sherlock Holmes in geheimnisvollen Dokumenten … Der Schlaf kommt immer näher …
»Ich kann mir wahrhaftig nicht vorstellen«, brumme ich im Einschlafen, »daß man mir einen Fall bringen könnte, der mich in die Sackgasse führte. In der Hauptstadt wird man vielleicht sagen, dies sei Feldscherismus … sollen sie … Die haben gut reden in ihren Kliniken und Universitäten … und Röntgenräumen … ich muß hier … alles machen … und die Bauern brauchen mich … Was habe ich früher gezittert, wenn es klopfte, wie habe ich
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