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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Ausschlag im Hals eines halbwüchsigen Mädchens. Mal in Form von Säbelbeinen. Mal in Form von eingesunkenen schlaffen Geschwüren an den gelben Beinen einer Greisin. Mal in Form von nässenden Knötchen am Körper einer blühenden Frau. Manchmal thronte sie stolz
auf einer Stirn, als halbmondförmige Venuskrone. Sie erschien als Strafe für die Unwissenheit der Väter an Kindern in Form von Nasen, die wie ein Kosakensattel aussahen. Aber sie glitt manchmal auch unbemerkt an mir vorbei. Ach, ich kam ja eben erst von der Schulbank!
    All das begriff mein Verstand in der Einsamkeit. Irgendwo war sie versteckt, in den Knochen und im Gehirn.
    Ich erfuhr viel.
    »Ich sollte damals Einreibungen machen.«
    »Mit schwarzer Salbe?«
    »Ja, Väterchen, mit schwarzer Salbe.«
    »Über Kreuz? Heute den Arm, morgen das Bein?«
    »Aber ja. Woher weißt du das, Väterchen?« (Schmeichelhaft.)
    Wie sollte ich nicht? Ach, wie sollte ich nicht. Da ist sie, die Gummigeschwulst!
    »Hast du eine böse Krankheit gehabt?«
    »Ich bitte Sie! So was hat’s bei mir nie gegeben.«
    »Soso … Hat dir der Hals weh getan?«
    »Der Hals ja. Der hat weh getan. Letztes Jahr.«
    »Soso … Und hat dir Leonti Leontjewitsch eine Salbe gegeben?«
    »Aber ja! Schwarz wie ein Stiefel.«
    »Schlecht hast du dich eingerieben, mein Bester, ach, schlecht!«
    Ich verbrauchte unzählige Kilo von der grauen Salbe. Ich verschrieb sehr viel Jodkalium, und ich sprudelte viele leidenschaftliche Worte hinaus. Ein paar Patienten kamen nach den ersten sechs Einreibungen wieder. Bei einigen konnte ich, wenn auch zumeist unvollständig, die ersten Injektionsreihen durchführen. Aber der größte Teil rann mir durch die Finger wie Sand in einer Sanduhr, und ich fand die Leute in der verschneiten Finsternis nicht wieder. Ach, ich überzeugte mich davon, daß die Syphilis hier dadurch furchteinflößend war, daß sie keine Furcht einflößte. Darum habe ich am Anfang dieser Erinnerung das
Beispiel der Frau mit den schwarzen Augen angeführt. Ich gedachte ihrer mit warmer Hochachtung wegen ihrer Furcht. Aber es war nur eine!
     
    Ich wurde zum Mann, ich gewann Konzentration, war manchmal finster. Ich träumte von dem Ende meiner Frist, dann würde ich in die Universitätsstadt zurückkehren, und mein Kampf würde leichter sein.
    An einem dieser düsteren Tage erschien in meiner Sprechstunde eine sehr schöne junge Frau. Im Arm hielt sie ein vermummtes Kind, und zwei weitere Kinder, stolpernd und sich verheddernd in ihren viel zu großen Filzstiefeln, hielten sich an ihrem blauen Rock fest, der unter ihrem Halbpelz hervorsah.
    »Die Kinder haben Ausschlag«, sagte das rotwangige Frauchen gewichtig.
    Behutsam berührte ich die Stirn des Mädchens, das sich an ihrem Rock festhielt. Es verschwand spurlos in den Rockfalten. Den ungewöhnlich dickbäckigen Wanka fischte ich an der anderen Seite aus ihrem Rock. Berührte auch seine Stirn. Beide waren nicht heiß. Normal.
    »Mach das Kind frei, meine Liebe.«
    Sie wickelte das kleine Mädchen aus. Das nackte Körperchen sah so aus wie der Himmel in einer frostklaren Nacht. Von Kopf bis Fuß Flecke der Roseola und nässende Knötchen. Wanka brüllte und strampelte. Demjan Lukitsch kam und half mir.
    »Eine Erkältung?« fragte die Mutter mit ruhigem Blick.
    »Von wegen Erkältung«, knurrte Demjan Lukitsch und verzog mitleidig und angewidert den Mund. »Der ganze Kreis Korobowo ist bei denen so erkältet.«
    »Wovon kommt das denn?« fragte die Mutter, während ich ihre fleckigen Hüften und Brüste betrachtete.
    »Zieh dich wieder an«, sagte ich.
    Dann setzte ich mich an den Schreibtisch, legte den Kopf in die Hand und gähnte (sie war eine der letzten an diesem Tag, hatte die Nummer 98). Dann sagte ich:

    »Meine Liebe, du hast eine ›böse Krankheit‹ und deine Kinder auch. Eine gefährliche, schreckliche Krankheit. Ihr alle müßt euch jetzt behandeln lassen, und das wird lange dauern.«
    Wie schade, daß sich das Mißtrauen in den vorstehenden hellblauen Weiberaugen mit Worten schwer beschreiben läßt. Sie drehte ihren Säugling in den Händen wie ein Holzscheit, guckte stumpf auf seine Beinchen und fragte:
    »Wovon kommt das?«
    Mit schiefem Mund lachte sie auf.
    »Das ist nicht interessant«, entgegnete ich und zündete mir die fünfzigste Zigarette an diesem Tag an. »Frag mich lieber, was aus den Kindern wird, wenn du sie nicht behandeln läßt.«
    »Was schon? Gar nichts«, antwortete sie und wickelte das Kind

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