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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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gefahren ist, der wird mich verstehen.
    Höchst gemütliches Ding, so eine Petroleumlampe, aber ich bin für die Elektrizität!
    Nun sah ich sie endlich wieder, die anheimelnden elektrischen Lampen! Die Hauptstraße des Städtchens, von Bauernschlitten glattgefahren, entzückte meinen Blick mit allem, was darin hing: ein Handwerkerschild mit Stiefeln,
eine goldene Brezel, rote Fahnen, die Abbildung eines jungen Mannes mit frechen Schweinsäuglein und angeklatschter Frisur, welche besagte, daß hinter der Glastür der örtliche Figaro residierte, bereit, Sie für dreißig Kopeken jederzeit zu rasieren außer an Feiertagen, mit denen mein Vaterland so reich gesegnet ist.
    Noch heute erinnere ich mich mit Schaudern an die Servietten des Figaros, die mir hartnäckig jene Seite aus dem Lehrbuch für Hautkrankheiten in die Vorstellung riefen, auf der mit plastischer Deutlichkeit ein harter Schanker am Kinn eines Mannes abgebildet war.
    Aber auch diese Servietten können meine Erinnerungen nicht verdüstern!
    Auf der Kreuzung stand ein leibhaftiger Milizionär, durch eine verstaubte Schaufensterscheibe schimmerten verschwommene Bleche, auf denen in dichten Reihen Gebäck mit rötlichem Krem lag, Heu bedeckte den Platz, und man ging, man fuhr, man plauderte, ein Büdchen bot Moskauer Zeitungen vom Vortag mit frappierenden Neuigkeiten feil, in der Nähe pfiffen die Moskauer Züge lockend einander zu. Kurzum, das war Zivilisation, das war Babylon, der Newski-Prospekt.
    Vom Krankenhaus ganz zu schweigen. Es hatte eine chirurgische, eine therapeutische, eine Infektions-, eine Entbindungsabteilung. Es hatte einen Operationssaal mit einem blitzenden Autoklav, silbrig glänzenden Wasserhähnen und Behandlungstischen, die ihre verzwickten Pfoten, Zähne und Schrauben zeigten. Es hatte einen Oberarzt, drei Stationsärzte (außer mir), Feldschere, Hebammen, Nachtschwestern, eine Apotheke und ein Labor. Man denke nur, ein Labor! Mit einem Zeiss-Mikroskop und einem schönen Vorrat an Farben.
    Ich zitterte und fror, die Eindrücke würgten mich. Nicht wenig Tage vergingen, bis ich mich daran gewöhnt hatte, daß die ebenerdigen Krankenhausgebäude in der Dezemberdämmerung wie auf Kommando in elektrischem Licht erstrahlten, das mich blendete.

    In den Wannen brodelte und dröhnte das Wasser, zerlaugte Holzthermometer tauchten und schwammen darin. In der Kinderinfektionsabteilung flackerte tagsüber immer wieder Stöhnen auf, man hörte klägliches, dünnes Weinen, heiseres Gurgeln. Nachtschwestern rannten und sausten umher.
    Eine schwere Last rutschte mir von der Seele. Ich trug nicht mehr die verhängnisvolle Verantwortung für alles, was immer auf der Welt passierte. Ich war nicht mehr schuld an einem eingeklemmten Bruch, zuckte nicht mehr zusammen, wenn ein Schlitten vorfuhr und eine Kreißende mit Querlage brachte, und eine eitrige Rippenfellentzündung, die eine Operation erforderlich machte, ging mich nichts mehr an. Zum erstenmal fühlte ich mich als Mensch, dessen Verantwortung Grenzen gezogen sind. Eine Entbindung? Bitte sehr, das flache Gebäude dort, das letzte Fenster, mit weißem Mull verhängt. Dort residiert der Geburtshilfearzt, dick und sympathisch, mit rötlichem Schnurrbart und Stirnglatze. Das ist seine Sache. Los, Schlitten, fahre zu dem mullverhängten Fenster! Eine komplizierte Fraktur? Der Chefarzt ist Chirurg. Eine Lungenentzündung? In die therapeutische Abteilung zu Pawel Wladimirowitsch.
    Oh, diese erhabene Maschinerie eines großen Krankenhauses mit ihrem wohlfunktionierenden, sorgsam geschmierten Getriebe! Wie eine neue Schraube nach genauem Maß wurde ich in den Apparat eingebaut und übernahm die Kinderabteilung. Diphtherie und Scharlach verschluckten mich, fraßen meine Tage. Aber nur die Tage. Nachts schlief ich ruhig, denn an meinen Fenstern hörte ich nicht mehr das unheildrohende nächtliche Klopfen, das mich aus dem Bett reißen und in Finsternis, Gefahr und Unausweichlichkeit bringen konnte. Ich fing an, abends zu lesen (natürlich in erster Linie über Diphtherie und Scharlach, dann aber komischerweise mit seltsamem Interesse James Cooper), und ich genoß die Lampe überm Tisch, die grauen Kohlestückchen im
Samowar, den erkalteten Tee, den Schlaf – nach schlaflosen anderthalb Jahren.
    So glücklich war ich im Winter siebzehn, nachdem ich aus meinem öden Schneesturmrevier in die Kreisstadt versetzt worden war.
     
    2 Ein Monat verging, dann der zweite und dritte. Das Jahr siebzehn war dahin,

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