Ascalon – Das magische Pferd, Band 1: Ascalon – Das magische Pferd. Die Wächter des Schicksals (German Edition)
Schandpfahl. Sie weinte. Mit dem kahl geschorenen Kopf war sie dem Gespött der Menge noch mehr ausgesetzt als zuvor. Die Leute verhöhnten und beschimpften sie und schreckten nicht einmal davor zurück, sie anzuspucken.
Endlose Minuten lang ließ der Gerichtsdiener es geschehen, ohne einzugreifen. Dann gab er den Soldaten ein Zeichen. Sie banden die Frau los und nahmen sie wieder in die Mitte.
Muriel sah, wie die Menschen zur Seite wichen, um eine Gasse für die Soldaten zu bilden. Sie führten die Verurteilte durch ein Spalier aus Menschen, die die junge Frau nicht nur verhöhnten und beleidigten, sondern auch immer wieder schubsten und stießen, um ihr zu zeigen, wie sehr sie sie verachteten.
Muriel war froh, als die Gruppe außer Sicht war und der Spuk ein Ende hatte.
»Was ist mit dir?«, fragte Christoph verwundert. »Man könnte meinen, du hast noch nie eine öffentliche Verurteilung gesehen.«
»Habe ich auch noch nicht!« Muriel atmete tief durch, als könne sie damit das Unbehagen vertreiben, das der Anblick der verstoßenen Frau bei ihr hinterlassen hatte.
»Jetzt sag bloß, sie tut dir leid.« Auf Christophs Gesicht zeigte sich eine Spur von Unverständnis.
»Ja, das tut sie.«
»Aber warum?« Christoph schüttelte den Kopf. »Sie hat ein Verbrechen begangen und muss dafür büßen. So lautet das Gesetz. Sie hat noch Glück gehabt und eine milde Strafe erhalten«, erklärte er. »Häufig werden Frauen wegen geringerer Vergehen als Hexen verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
»Hör auf!« Muriel hielt sich die Ohren zu. Im Geschichtsunterricht hatten sie fast eine Stunde lang über die grausamen Strafen gesprochen, zu denen die Menschen im Mittelalter oft verurteilt wurden. Es selbst zu erleben, war jedoch etwas ganz anderes.
Die Menge der Schaulustigen zerstreute sich langsam. Der Vogt und die Ratsherren kehrten ins Rathaus zurück. Die Männer trugen die Bänke fort. Als sei nichts geschehen, nahmen die Bürger von Willenberg ihre Besorgungen wieder auf. Sogar die Musikanten fanden sich wieder ein, um die Besucher das Marktes zu unterhalten.
»Ich gehe jetzt den Hufschmied fragen, ob er deiner Mutter helfen kann«, kündigte Christoph an.
»Meiner Mutter?« Muriel brauchte ein Weile, um zu verstehen, was er damit meinte. Dann fiel ihr die Geschichte wieder ein, die sie ihm erzählt hatte.
»Oh! Ja, natürlich!«, sagte sie hastig. »Meine Mutter wird sich sicher schon Sorgen machen, wo ich so lange bleibe. Bitte beeile dich.«
»Kommst du nicht mit?« Christoph runzelte die Stirn.
»Ich warte hier auf dich«, Muriel fuhr sich mit der Hand müde über die Augen. »Ich bin heute schon so weit gelaufen. Meine Füße tun mir weh.«
»Wenn deine Füße so zart sind wie deine Hände, ist das kein Wunder.« Christoph grinste. »Also gut, warte hier. Ich bin gleich zurück.«
»Danke.« Muriel lächelte ihm zu und sah ihm nach, wie er eilig davonrannte. Sie hatte nicht vor auf ihn zu warten und war froh eine Gelegenheit gefunden zu haben, sich unauffällig zu verdrücken. Kaum dass er um die nächste Hausecke verschwunden war, drehte sie sich um, raffte ihr Kleid mit den Händen in die Höhe und lief so schnell sie konnte den Weg zurück, den sie gekommen war.
Sie hatte genug vom Mittelalter gesehen und wünschte sich nichts sehnlicher, als möglichst bald in ihre eigene Welt zurückzukehren. Doch das ging nur mit Ascalon und der wartete irgendwo draußen vor der Stadt auf sie.
Mit großen Schritten überquerte sie den Platz, bog in die Gasse ein, durch die Christoph sie zum Markt geführt hatte, und fand sich schon bald auf der Straße wieder, die aus der Stadt hinaus zum nahen Wald führte. Die Menschen, an denen sie vorbeihastete, sahen ihr verwundert nach, aber niemand hielt sie auf oder sprach sie an.
Am Stadtrand musste Muriel eine kurze Verschnaufpause einlegen. Sie hatte lange nichts getrunken und bis auf den kleinen Apfel auch nichts gegessen. Nun war ihr Hals vom Laufen trocken und die Knie weich vor Hunger.
Für die nächste Reise sollte ich mir wohl besser etwas Proviant einstecken, dachte sie und ärgerte sich darüber, dass sie nicht gleich daran gedacht hatte. Erschöpft ging sie zu einem großen Felsen, der am Wegesrand im Schatten einer knorrigen Eiche lag, und setzte sich, um ein wenig auszuruhen. Müde stützte sie das Kinn auf die Hände und schloss die Augen.
Es dauerte nicht lange, da hörte sie Schritte sich nähern. Sie blickte auf und erkannte die sechs
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