Asche zu Asche
Orakel?“
Cyrus schüttelte den Kopf. „Nein. Damals hat er sich nicht für das Orakel interessiert. Ich weiß auch nicht, was er jetzt von ihm will. Er mochte einfach das Wetter.“
Ich drehte mich kurz um und sah Nathan mit verkniffenen Augen im Türrahmen stehen. Ich wandte mich wiederan Cyrus. „Wie kommt es dann, dass Clarence zum Haus gehört? Er ist zwar alt, aber noch nicht einhundertfünfzig.“
Cyrus sah mich an, als sei ich verrückt geworden. „Du glaubst doch nicht, dass er am Leben ist, oder?“ Er fing an zu lachen, zunächst war es ein leises Lachen, das in ein lautes Gewieher ausartete, das ich noch nie bei ihm gehört hatte. Er schlug sich auf die Oberschenkel und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Oh, das ist unglaublich.“
„Also ist er ein Vampir?“, fragte ich schnippisch, da ich mich nicht annähernd so gut amüsierte wie Cyrus. „Er arbeitet für deinen Vater?“
„Er ist ein Geist, Carrie.“ Cyrus stieß einen letzten hysterischen Lacher aus. „Ich kann nicht glauben, dass du das nicht gewusst hast.“
„Das ist unmöglich“, spottete ich. „Es gibt keine Geister.“
„Das hast du auch über Vampire gesagt“, erinnerte mich Nathan. „Und Werwölfe.“
„Ja, aber …“
„Ich habe einem der Lakaien meines Vaters dabei zugesehen, wie sie es machen“, unterbrach Cyrus uns ruhig. „Erinnerst du dich, wie ich dir das Herz herausgeschnitten habe?“
Böse starrte ich ihn an. „Was für eine dumme Frage! Natürlich weiß ich das noch.“
„Erinnerst du dich, wie es war zu sterben?“ Er schwieg, damit ich darüber nachdenken konnte.
Nicht, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich daran zu entsinnen. Zu sterben und das, was danach geschah, war mir immer sehr präsent. Es war nicht so, dass ich einen Hang zur Morbidität hatte, aber die Erinnerung daran, dass ich meinen Körper verließ und zwischen einem Haufen gesichtsloser und irgendwie ähnlich aussehender Geistermenschenherumirrte, reichte aus, um mich von jeder Gefahr fernzuhalten.
„Aber für Menschen muss es anders ein.“ Bei dem Wort zuckte ich zusammen. Ich hasste es immer noch, mich als etwas anderes als einen Menschen wahrzunehmen. „Sie haben Seelen.“
„Denkst du, wir hätten keine Seelen, Carrie?“ Nathan fragte das leise, während er seine Hände auf meine Schultern legte. „Glaubst du, du hättest keine Seele?“
„Darum geht es hier doch nicht. Nicht eine Seele im philosophischen Sinne, sondern im judäisch-christlichen Sinn. Dass es etwas im Menschen gibt, das in den Himmel hinauffährt. Offensichtlich kommen wir nicht dorthin. Wir gelangen nur in die komische blaue Schattenwelt.“ Ich erschauderte bei dem Gedanken daran. Ohne Gefühl für Zeit und Identität durch die Gegend zu schweben und sich noch nicht einmal darum zu scheren, dass man existierte.
„Na, ich will mich nicht streiten. Aber wo ein Mensch auch immer nach seinem Tod hingehen sollte, bei Clarence war es anders. Oh, wir haben viel Spaß damit gehabt, ihn in eine Ecke vom Esszimmer zu drängen und ihn um den Tisch zu jagen. Dann hat er sogar diese Sache gemacht, wo er verschwunden ist und an anderer Stelle wieder auftauchte. Oder aus einer Richtung kam, in die er gar nicht gegangen war.“
Cyrus lächelte. Während er sich erinnerte, spürte ich, wie mir die Haare zu Berge standen. Zuerst sah er mich an, dann Nathan, dann schien er ein schlechtes Gewissen zu bekommen. „Nun, auf alle Fälle hat ihn Geoffrey erwischt, ihn ertränkt und seinen Leichnam auf dem Boden liegen lassen. Vater war außer sich vor Wut.
Ihr kennt doch den Spruch, dass es so schwierig sei, gutes Personal zu bekommen? Das Problem gab es damals schon. Er raste vor Wut und schimpfte, stapfte durch seinen Salonwie ein Besessener – weißt du, Carrie, der Salon in meinen Gemächern? Bis er sich endlich so weit abgeregt hatte, dass er Geoffrey zur Strafe tötete. Stellt euch seine Überraschung vor, als, kaum war Geoffreys toter Körper zu Asche verbrannt, Clarence hereinkam und höflich fragte, ob er die Sauerei wegräumen sollte!“
Als weder Nathan noch ich lachten, schluckte Cyrus seine Heiterkeit hinunter.
„Was ich nicht verstehe, ist, wenn Clarence an dieses Haus gebunden ist und er für den Besitzer arbeitet, warum er mir dann dabei geholfen hat, gegen dich und Dahlia vorzugehen?“ Ich klackte mit dem Zeigefinger gegen meine Schneidezähne, während ich ins Buch starrte.
„Nun, Dahlia und ich waren nicht die Eigentümer des
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