Aschenpummel (German Edition)
Eine weitere Minute, um mich aus meinem Salzsäulenzustand zu reißen.
Gottogott, was nun? … Ich versuchte es mit Schultertätscheln. Vanessa zu berühren war komisch. Das hatte ich in sechs gemeinsamen Schuljahren nicht getan. Also ließ ich die Hand sinken und murmelte: »Wird schon wieder, hmm?« Wow, das klang ja phantastisch.
Sie ließ sich auf die Bank fallen. Ich vergaß vor Schreck zu atmen. Gut, ich hatte sie nie gemocht, aber dass sie sich mit ihrem hellen Kleid ausgerechnet jetzt, wo sie ohnehin so verzweifelt war, in Mellis Schokoeisfleck setzte, hatte ich nicht gewollt. Sie hatte aber nichts gemerkt und kiekste und schluchzte leise weiter. Die Hände hatte sie zierlich vors Gesicht gelegt. Herrgott, die Frau weinte ja sogar attraktiv! Wenn ich heule, greint es nur so aus mir heraus und aus Augen, Nase und Mund strömen alle möglichen Körperflüssigkeiten.
Mit einem Blick auf die Uhr an der Wand stieß ich hervor: »Vanessa, kann ich dir irgendwie helfen?«
»Es geht schon. Ist nicht so schlimm«, sprach’s mit erstickter Stimme, den Kopf immer noch in den Händen vergraben.
»Ja dann …« Hilflos, und vor allem ungesehen, wies ich in Richtung Tür.
Von unten tönte es verzweifelt: »Es ist nicht leicht für eine Frau, so auszusehen wie ich.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah böse ihren Hinterkopf an. Natürlich, es war nicht leicht, mit einem Engelsgesicht inklusive Stupsnase, umrahmt von langen Locken, und das alles präsentiert auf einem Traumkörper, durchs Leben zu gehen. Viel leichter war es freilich, flachbrüstig, breithüftig, schmallippig und dünnhaarig wie ich zu sein.
»Die Menschen reduzieren mich immer auf das eine …«
Ich schloss die Augen, ich wusste genau, was jetzt kam.
» … die Frauen hassen mich. Die Männer betrachten mich als Sexobjekt.«
Ich versuchte es wieder mit Schultertätscheln. »Na, na, das stimmt doch nicht. Schau, ich bin auch eine Frau. Und ich hasse dich nicht.«
Sie sah mich an – die Augen weit geöffnet und schimmernd, zwei große blaue Seen, die in der Sonne glänzten. Mit einiger Befriedigung stellte ich fest, dass ihr die Wimperntusche bis zum Kinn gerutscht war.
»Jetzt weiß ich wieder, wie du heißt«, flüsterte sie. »Taddäa, aber alle haben immer Teddy gesagt.«
»Ja«, seufzte ich.
»Wie kuschelig das klingt. Der Name gefällt mir.«
»Du spinnst«, entfuhr es mir. Doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte das Lächeln, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete, einfach nicht unterdrücken. Natürlich konnte sie das einfach nur so dahingesagt haben, aber das machte für mich in dem Moment keinen großen Unterschied. Ich freute mich trotzdem. Fakt war, dass noch nie jemand gesagt hatte, dass ihm mein Name gefällt.
Ich räusperte mich. »Geht’s wieder?«, fragte ich vorsichtig.
Sie belohnte mich mit einem zauberhaften Lächeln. »Aber ja. Wie süß von dir, dass du dir Sorgen gemacht hast. Ich scheine etwas an mir zu haben, das in meinen Mitmenschen auf der Stelle den Beschützerinstinkt weckt.« Mit einer schwungvollen Kopfbewegung warf sie ihre Haare nach hinten. »Wirke ich tatsächlich so zerbrechlich?«
»Naja, du hast grade ziemlich geweint …« Wie jetzt, doch die Tussinummer? Oder hatte die Frau einfach einen kompletten Knall? Jedenfalls hatte sie das mit den Stimmungsschwankungen ziemlich gut drauf.
»Bist du verheiratet, Teddy?«
»Noch nicht«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Mit der Betonung auf »noch«.
»Ach, dann gibt es also bereits einen zukünftigen Herrn Kis?«
»Natürlich.« Er hatte schwarzes Haar und eine Augenklappe.
»Bist du glücklich?«
»Klar.«
Langsam keimte der Gedanke in mir auf, sie könnte tatsächlich aus einer Irrenanstalt ausgebrochen sein. Womöglich aus der Abteilung für gemeingefährliche Irre. Gott, anscheinend hatte ich selbst zu oft die Jetzt gelesen.
»Und du? Was machst du eigentlich beruflich?«, fragte ich und hätte mich sofort auf die Zunge beißen können. Das konnte ja nur schiefgehen. Entweder sie war absolut gaga, dann hatte sie sicher keine Arbeit. Oder sie war Staranwältin oder Model oder Sängerin und würde mir gleich den Unterschied zwischen unseren Jobs genüsslich unter die Nase reiben.
»Ich hab vor zwei Wochen bei Dr. Strohmann angefangen, als Zahnarzthelferin.«
Sie und der Strohmann. Natürlich. Sofort sah ich sie in einem hautengen weißen Minikittelchen vor mir, aus dem jedes Mal, wenn sie sich über einen
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