Aschenpummel (German Edition)
ja meine Leidenschaft. Darf ich? Darf ich?«
Wie hätte ich ihr einen Wunsch abschlagen können, wo sie mir doch gerade gesagt hatte, dass ich metamorphiere, oder wie auch immer das hieß.
Während ich im Laufe des Nachmittags neun Kundschaften bediente, einmal vier gleichzeitig, den Rest zum Glück hintereinander, wühlte Vanessa sich durchs Lager. Um halb sieben erklärte ich ihr, dass ich abschließen müsse, und sie erklärte mir, dass sie die Hälfte der Schachteln durchhätte und am nächsten Tag für den Rest wiederkommen wolle.
»Suchst du nach was Bestimmtem?«, fragte ich zum zehnten Mal.
»Nach Schuhen«, flötete sie zum zehnten Mal und segelte hinaus. Natürlich kam mir ihr Verhalten komisch vor, und einige Male war ich knapp davor, sie zu fragen, ob sie nur deswegen so nett zu mir gewesen war, um hinterher in den Schuhen graben zu können. Doch ich brachte es nicht übers Herz, unsere Freundschaft – so sie denn eine war – durch mein Misstrauen aufs Spiel zu setzen.
Ich sah auf die Uhr, achtzehn Uhr fünfunddreißig. In fünfundzwanzig Minuten würde der Zahnarzt hier erscheinen, mit meinem neuen Peugeot. In zwanzig Minuten würde ich mich vor das Schuh-Bi stellen und auf ihn warten. Konnte ja nichts schaden, wenn der Pirat mich zufällig sah. Mich und den Zahnarzt. Mich neben einem anderen begehrenswerten Mann.
Bis dahin verbrachte ich die Zeit mit Stolzieren und – nach einem kritischen Blick in den Spiegel – mit dem Schlucken dreier weiterer Abführdragees. Ich ließ die Rollos herunter, um ungestört einen sexy Gang üben zu können. Was nicht leicht war in flachen Sandalen, doch was sonst hätte ich zur Fahrstunde anziehen sollen? Ich stellte mich vor die Tür und marschierte auf den Spiegel zu.
Kopf hoch, Brüstchen raus, Hintern rein und Hüften schwingen, Hüften schwingen, cha cha cha, sexy, sexy, sexy. Dann versuchte ich die ganze Nummer mit dem neuen Dreh, den Po zur Abwechslung mal nicht wegzuklemmen, sondern ihn, ganz im Gegenteil, zu präsentieren. Ich war Jennifer Lopez, naja, oder vielleicht Jennifer Lopez nach der Geburt ihrer Zwillinge, nur ohne Busen. Okay, ich war nicht Jennifer Lopez.
Das Problem mit diesen ganzen kurvigen Prominenten war doch, dass die trotzdem perfekt aussahen. Wen störten Kate Winslets Hüften, wo doch ihr Busen alles ins Gleichgewicht rückte? Und ihr Gesicht so wunderschön war, dass die Figur ohnehin nur Nebensache war? Steht zu euren Kurven, Frauen, haha, nur mussten die Kurven auch an den richtigen Stellen sitzen. Ich war frustriert. Be-De hatte recht, ich hatte einen fetten Hintern.
Aber verdammt noch mal, scheiß drauf, dann war es eben so! Dann war ich eben nicht perfekt. Dann passte ich eben nicht in das gängige Schönheitsklischee. Ich könnte ja Vorreiterin für ein völlig neues Frauenbild werden. Ich, Teddy Kis, ha! Ab jetzt würde ich meinen Hintern immer zeigen, extra zeigen, po sieren, wo ich nur konnte, vorne brüsteln, hinten po sieren, egal, was du hast, sei stolz drauf und zeig es. Carpe diem und kill mit deinem smile! Heute Abend würde ich alle Tricks und Kniffe am Zahnarzt ausprobieren, heute Abend würde ich mir selbst beibringen, wie man einen Mann verführt. Und am Samstag würde ich meine neuerworbenen Künste beim Piraten einsetzen und ihn im Sturm erobern. Veni, vidi, vici!
Es klopfte. Scheiße, viel zu früh!
Ich huschte zur Tür, drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete sie. Der Zahnarzt zeigte sein schönstes Lächeln.
»Guten Abend, Herr Doktor, kommen Sie doch herein, ich hol nur noch meine Tasse, äh … Tasse, äh –« Ich hastete hinter den Vorhang, nichts mit Schreiten. Absolut kopflos riss ich die verdammte Tasche an mich und hängte sie mir um. Wer hätte gedacht, dass ich genauso einen S-Fehler wie die kleine Melli hatte, nur dass es bei einer Dreijährigen irgendwie niedlicher war als bei einer Dreißigjährigen. Zweiunddreißig, Teddy, du bist verdammt noch mal zweiunddreißig, denk dran, wenn du da jetzt raus gehst, denk dran, dass du es mit zwei-und-drei-ßig nicht mehr nötig hast, dich wie eine Pubertierende aufzuführen.
Schreiten, schwingen, brüsteln, po sieren – schwungvoll riss ich den Vorhang zur Seite und schritt zurück zum Zahnarzt, meine Augen waren auf sein Lächeln gerichtet, und ich konnte spüren, wie verrucht mein Blick war. In genau diesem Moment knackste mein linker Knöchel um. Wie unwahrscheinlich ungeschickt musste frau sein, um in flachen Sandalen
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