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Aschenpummel (German Edition)

Aschenpummel (German Edition)

Titel: Aschenpummel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Miedler
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Freundin, und sie ist es heute noch. Sie ist verheiratet, und ihre Kinder sind sieben und zehn Jahre alt. Seit vierzehn Jahren bin ich verliebt in sie, darf es ihr aber nie verraten, weil das unsere Freundschaft zerstören würde, das weiß ich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Sie ist die Liebe meines Lebens.«
    »Scheiße«, sagte ich. Gisela nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Oder auch nicht«, entgegnete sie. »Scheiße wäre, wenn ich keinen Kontakt mehr zu ihr haben dürfte, das wäre wirklich Scheiße. Aber so alles in allem darf ich mich doch eigentlich recht glücklich schätzen.«
    Ich sah anscheinend etwas ungläubig drein, denn Gisela beeilte sich zu sagen: »Teddy, jetzt geh mal in Gedanken alle Menschen durch, die du kennst, und dann stell dir vor, du könntest mit einem von ihnen tauschen. Und zwar mit allem Drum und Dran, Charakter, Gefühlslage, Aussehen, Beruf, alles. Stell dir das einfach mal vor. Und dann nenne mir eine Person, mit der du gerne tauschen würdest. Für die du dich selbst hergeben würdest.«
    Ich überlegte. Naturgemäß ging ich erst mal die hübschesten Frauen durch. Gisela? Nein, vielleicht doch nicht, die hatte selbst genug Probleme. Tissi? Mein ganzes Leben hatte ich so aussehen wollen wie sie. Begehrt werden wie sie, ihr Leben führen. Doch sogar sie hatte Probleme, wie ich seit gestern wusste. Vanessa? Hmm, Vanessa tat mir leid, nein, so wollte ich auch nicht sein. Bonnie-Denise? Dann müsste ich aber auch ihren Mann nehmen. Und die Kinder. Und dann wäre nichts mehr mit dem Piraten. Vielleicht mit dem Piraten selbst tauschen? Dann würde ich zumindest unsterblich geliebt werden, nämlich von Teddy. Und wenn ich der Pirat wäre, dann wäre der Pirat ich, und dann wäre eigentlich wieder alles so, wie es eh schon war. Das wäre auch nicht gut, und außerdem, nein, ich wollte doch ich sein und den Piraten erobern!
    »Nein«, entfuhr es mir plötzlich. »Nein, ich möchte tatsächlich niemand anderes sein. Ich will ich sein. Nur besser.«
    Gisela lachte laut. »Na, dann mach dich doch besser. Mach einfach. Ein anderer kann’s nicht für dich tun.«
    »Weißt du was, Gisela? Aber –«, ich stockte, »was ich dir jetzt erzähle, darfst du nie jemandem sagen.«
    Gisela hob feierlich die linke Hand. »Ich schwöre.«
    »Letzten Freitag war ich kurz davor, mich aus dem Fenster zu schmeißen.«
    Sie wirkte nicht im Mindesten schockiert, sie fragte nur: »Und warum?«
    Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Oh Mann, das brauchte ich jetzt aber echt nicht. Energisch räusperte ich mich. »Wegen so vielem.« Ich seufzte. »Zum Beispiel wegen meiner Mutter, die sich andauernd einmischt, die mich nicht mein Leben leben lässt.« Ich ließ die Faust auf die Tischplatte fallen. »Wobei ich ja nicht mal weiß, wie ich gerne leben würde, wenn sie mich ließe. Ich bin zweiunddreißig und hab noch nie einen Mann gehabt. Noch nie!«
    Gisela lächelte. »Na und? Ich auch nicht.«
    Ich fand das nicht lustig. »Manchmal, wenn ich unter Leuten bin, im Schuhladen oder einkaufen oder einfach nur auf der Straße gehe, dann habe ich das Gefühl, dass alle es mir ansehen. Als würde es mir ins Gesicht geschrieben stehen. Es ist wie ein Stigma. Ich bin eine Aussätzige. Ich gehöre nicht dazu.«
    Sie nahm meine Hand. »Teddy, niemand sieht dir das an. Niemand. Was fast schade ist, weil du stolz darauf sein solltest, dass du es anders machst als die Masse. Das zeugt von Stärke.«
    »Aber ich möchte doch so gerne sein wie alle anderen«, stieß ich verzweifelt hervor. »Ich will ganz normal sein.«
    »Teddy, was bedeutet denn ›ganz normal sein‹«? Wie der ganz normale Rassist von nebenan? Wie der ganz normale kleinkarierte Bürger, der kein anderes Vergnügen kennt, als über die Nachbarn zu meckern? Wie die ganz normale Ehefrau, die mit ihrem Mann schläft, während sie an ihren Bürokollegen denkt? Das sind normale Menschen, fürchte ich. Möchtest du sein wie sie?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Gisela ließ meine Hand los. Sie sah ernst aus. »Individualität wird leider viel zu wenig geschätzt. Die Welt wäre bunter und besser, wenn wir nicht alle in dem Zwang leben würden, so sein zu müssen wie Hinz und Kunz.«
    Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. Plötzlich fragte Gisela: »Warum hast du denn noch nie einen Mann gehabt?«
    »Na, weil mich nie einer interessiert hat, den ich hätte haben können«, sagte ich und fegte mit der Hand beinahe meine Teetasse vom Tisch.

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