Aschenputtelfluch
dy Shadow, 21. September 2009, 03:11 Uhr, aktuelle Stim mung: böse.
Das Übliche. Die Leute wurden mit ihren Nicknames und einem Bild gezeigt und veröffentlichten ihr persönliches Stimmungsbarometer.
Ich klickte auf den Login – und traute meinen Augen nicht.
WAHNSINN!
Das konnte doch nicht wahr sein!
Kira hatte das entscheidende Feld Bei jedem Besuch auto matisch einloggen markiert!
Ihr Benutzername war – wie sollte es anders sein: Cinde rella1991.
Ich war drin!
Ich war mitten in ihrem Tagebuch! In ihrem Kopf, ihren Gedanken, ihrer Seele, ihren Gefühlen, ihren Ängsten . . .
Ich klickte auf die letzten Tagebucheinträge. Seitenlang Text! Ich konnte es nicht glauben! Kiras Tagebuch!
Der Überraschung, der Neugierde folgte Unbehagen. Wollte ich es wirklich lesen? Durfte ich es? Sollte ich es je mandem zeigen? War das Tagebuch vielleicht so etwas wie Kiras Abschiedsbrief? Ihr Vermächtnis?
Aber ich musste einfach wissen, was passiert war! In der nächsten Sekunde war es entschieden: Ich klickte den ers ten Eintrag an.
Ein Tagebuch ist eine tolle Sache. Ich kann denken, was ich will, schreiben, was ich will, meine Gefühle outen nach dem Motto: Lass es einfach raus.
Ich überflog die ersten Worte und war bereits nach we nigen Minuten völlig vertieft in das, was Kira geschrieben hatte. Doch je länger ich las, desto mehr erfasste mich das Gefühl von Unheil. Unheil, das sich allmählich über Kiras Leben hier in Ravenhorst gesenkt hatte.
Kiras Tagebuch
Eintrag No. 19
Wie weiß man, auf wen man sich verlassen kann? Oma meint, Vertrauen bedeutet nicht automatisch Sicherheit. Super! Dann bedeutet Vertrauen doch nichts anderes, als Gefühle auf Pump investieren. Diese Fragen beschäftigten mich die ganze Nacht! Nein, nicht etwa in verrückten Filmträumen, sondern live! Was heißen soll: Ich lag stundenlang wach! Frau Sturm würde jetzt sagen: Genauer, Kira! In Zahlen ausgedrückt! Also korrekt von 22:30 Uhr (Lichtausphase!) bis 3:11 Uhr. Da zumindest habe ich zum letzten Mal auf die Uhr gesehen, bis ich den Wecker zum Fenster hinausgeworfen habe, wo er irgendwo im Gebüsch landete. Konnte das Ding sowieso nie leiden. Meg hat geschnarcht und nichts gemerkt. Schlaf der Gerechten? Daran glaube ich nicht. ICH glaube fest daran, die Besten schlafen am schlechtesten. Weil nur die sich wegen allem einen Kopf machen, das heißt, sie kommen aus dem Nachdenken und Grübeln nicht heraus.
Okay: Die Sache lief so. Wochenende. Ein trüber Morgen. Ich lag noch im Bett, als draußen auf dem Flur zuerst Türen schlugen und dann laute Stimmen zu hören waren. Jemand schrie erst: »Scheiß Schule!« Dann hörte ich etwas von Assis! Aber das allein war ja nicht beunruhigend, denn hier wird ständig jemand als Assi, schwul oder Schlampe beschimpft.
Überall wurde also an Türen geklopft und rumgeschrien. Es hörte sich nach Pink an. Ich sollte erwähnen, dass sie nicht mehr mit mir spricht. Ich wusste, im nächsten Augenblick würde sie auch hier erscheinen. Meg schlief oder tat zumindest so. Ich dachte, es sei keine schlechte Idee, dasselbe zu versuchen.
Die Tür wurde mit voller Wucht aufgestoßen und knallte gegen die Wand. Je länger ich hier bin, desto mehr kommt es mir vor, als lebten wir alle in Ravenhorst auf einem Vulkan. Die Stimmung ist so explosiv, irgendwann geht das Ganze in die Luft. Ich wusste ja in diesem Moment nicht, dass ich die Einzige war, die explodierte.
»Habt ihr meinen iPod gesehen?« Pinks Stimme hatte diesen aggressiven Unterton, den ich früher nie wahrgenommen habe.
Ich wartete, ob Meg sich rührte. Was sie nicht tat und natürlich kam Pink an mein Bett. Obwohl Megs näher an der Tür liegt, aber Meg gehört zu den Unantastbaren.
»Hast du meinen iPod?«
Wie tut man so, als ob man gerade noch geschlafen hat? Ich jedenfalls blieb mit dem Kopf unter der Decke, was im Nachhinein wohl ein Fehler war, und murmelte ein schwaches »Was?«.
»Ob du meinen iPod hast?«
Mir wurde kalt. Pink hatte die Decke weggezogen.
»Nein!«, murmelte ich.
»Schwöre es!«
»Ich schwöre!«
»Schwöre beim Grab deiner Eltern.«
In letzter Zeit reitet sie immer darauf herum, dass ich Waise bin.
Ich schwieg.
»Du schwörst also nicht?« Plötzlich tauchte Trixie in der Tür auf. Es soll ja so was wie siamesische Zwillinge geben, die an irgendeinem Körperteil aneinandergewachsen sind. In den letzten Tagen glaube ich, die beiden sind gehirnmäßig aneinander angedockt.
»Wo hast du ihn?« Pink
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