Aschenputtelfluch
Verstand. Etwas Schreckliches würde geschehen, das wusste ich plötzlich. Und dann überfiel sie mich die Panik. Inständig wünschte ich mir, es wäre endlich vorbei.
Also streckte ich meine Hand aus, ich konnte nicht anders ...und griff nach der Bettdecke. Komisch, dachte ich noch, die ist ja feucht, und dann schlug ich sie zur Seite.
Oh Gott!
Ich starrte auf den Bildschirm!
Aber dieser Tagebucheintrag endete anders, als ich ge hofft hatte.
Hilf mir, Indi! Bitte hilf mir doch!
KAPITEL 16
I rgendjemand hatte einmal gesagt, Einsamkeit sei eine Droge. Nun, wenn das so war, dann schien ich nicht sucht-gefährdet. Das wurde mir die nächsten Tage klar. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen, dass so gut wie nie mand mit mir sprach. Nikolaj war immer noch krank, Emi lia war niemand, dem ich mich anvertrauen konnte. Innerhalb weniger Stunden hätte sie alle Geheimnisse preisgegeben, die ich hatte, und noch einige dazuerfun den.
Wieder und wieder las ich Kiras Tagebuch. Doch was sie in ihrem Bett gefunden hatte – erfuhr ich nicht. Sie hatte nur noch einen allerletzten Eintrag hinzugefügt – oh Gott, mir wurde jedes Mal von Neuem übel, wenn ich ihn an klickte. Denn diesen Eintrag hatte sie nach den Sommerfe rien geschrieben, kurz vor ihrem Tod. Sie hatte alles auf geschrieben. Die Fahrt im Bus, der Kuss zwischen Indi und Pink. Hier stand die Erklärung für ihre Entscheidung schwarz auf weiß.
Es war Indi! Kira war in Indi verliebt gewesen. Und er hatte ihr nicht geholfen. Ganz im Gegenteil!
Im Internat liefen die Vorbereitungen für das große Schulfest vor den Herbstferien, aber ich dachte an alles andere, nur nicht an Feiern. Außerdem hatte ich die Mathearbeit in den Sand gesetzt. Drei minus. Frau Sturm hatte den Kopf geschüttelt. Und ich wusste, was sie mir damit sagen wollte: Das Stipendium stand auf dem Spiel. Und am meisten Angst hatte ich davor, dass meine Eltern in den Ferien merkten, wie es mir wirklich ging.
Ich hatte mehr als einmal versucht, Nikolaj zu besuchen, aber Frau Schüler ließ mich nicht zu ihm.
»Was hat er denn?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Warum denn nicht?«
Sie zögerte. Etwas stimmte hier nicht. Ich erinnerte mich, wie blass Nikolaj ausgesehen hatte.
»Etwas Ernstes?«
»Das kann ich dir wirklich nicht sagen.«
»Aber . . .«
»Nein!«
»Und wie lange . . .«
»Das müssen wir sehen. In seinem Fall kann man das nicht vorhersehen.«
In seinem Fall? Was meinte sie damit?
Kurz, sie scheuchte mich davon und dann erinnerte ich mich plötzlich wieder. Am ersten Tag in der Sporthalle – hatte Nikolaj da nicht irgendetwas über eine Erbkrankheit gesagt?
Ich hatte es für einen Scherz gehalten.
Ich überlegte, ob ich mit Indi reden sollte. Aber was wür de ich ihm sagen? Dass ich Kiras Tagebuch gefunden hat te? Und was für eine Rolle er darin spielte?
Am Abend des Schulfestes versuchte ich, mich unsichtbar zu machen. Im Gegensatz zu den anderen. Die langen Gänge des Klosters hallten wider von weltlichen Diskus sionen über Kleider, Make - up, Schuhe. Gut, dachte ich – dann sind sie beschäftigt und beachten mich nicht.
Jetzt im Herbst schienen die Raben der Umgebung sich zusammenzurotten. Immer, wenn ich aus dem Fenster blickte, hatten sie sich auf den Strommasten versammelt und krächzten laut. Vielleicht planten auch sie wie die Schüler ein richtig geiles Fest. Im Licht der untergehenden Sonne – ein roter Ball, der am Horizont langsam hinter dem Wald versank – leuchtete ihr Gefieder blauschwarz. Als hätten sie stundenlang vor dem Spiegel gestanden, ge nau wie die Mädchen in den Nachbarzimmern. Bis auf mich und die Nonne fuhren alle auf dieses Fest ab.
Ja, selbst Meg – deren Lebensprinzip doch ständige Coolness war – drehte sich vor dem Spiegel hin und her. Sie hatte sich für einen schwarzen Minirock entschieden, zu dem sie einen schwarzen Rolli trug und riesige Ohrrin ge, die wie überdimensionierte Goldmünzen wirkten. Die roten Locken trug sie hochgesteckt und ich dachte, wenn sie nicht aufpasst, verwechselt einer der fetten Vögel es mit seinem Nest.
Sie rauschte aus dem Zimmer, wie immer, ohne mich zu beachten, und dann herrschte endlich auf dem Flur heilige Ruhe. Ein geradezu klösterlicher Frieden.
Ich lag auf dem Bett vertieft in Plötzlich Prinzessin von Meg Cabot – das Buch, das mit Anne Hathaway verfilmt worden war. Es war nun einmal eine Tatsache, dass ich in den Situationen in meinem Leben, wo die Kacke am Dampfen war, in
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