Aschenputtelfluch
»hast du es dir anders überlegt?«
Ich zuckte mit den Schultern.
Sie tanzte zu mir rüber, ihre Augen glänzten, wie immer, wenn sie darauf brannte, eine ihrer Neuigkeiten loszuwer den. »Nick soll es richtig schlecht gehen!«
»Was?«
»Meg hat ihn heute besucht und er hat irgendwas zu ihr ge sagt, was sie nicht wiederholen will. Und dann hat die Sturm jeglichen Besuch verboten, weil er sich zu sehr aufregt!«
Meg? Warum durfte Meg ihn besuchen? Weil sie für die Lehrer zu den Unantastbaren gehörte! Darum!
Ich wandte mich um und rannte aus der Aula. Supernan ny hatte ihre Pflicht erledigt. Sie würde gar nicht bemer ken, wenn ich in diesem Getümmel fehlte. Scheiß auf das soziale Miteinander! Was hatte ich geschworen in der Nacht auf dem Friedhof?
Weil wir NICHT konform gehen.
Weil WIR entscheiden!
Aufgeregt rannte ich die Treppen hoch in den obersten Stock, wo das Krankenzimmer lag. Ich würde jetzt auf der Stelle zu Nikolaj gehen. Ich musste das einfach tun und niemand konnte mich daran hindern.
Weil wir NICHT konform gehen.
Weil WIR entscheiden!
Ich sagte diese Sätze laut vor mich hin, sprach mit mir selbst, was mich endgültig und absolut zum Freak degra dierte.
Konnte ein kurzer Besuch seinen Zustand vielleicht noch verschlimmern? Doch wohl nicht! Aber was, wenn er zu mir sagte: »Hau ab! Du bist eine Diebin! Über dich wur de der Bann gesprochen. Ich darf nicht mit dir reden und will es auch nicht. Du hast mich enttäuscht. Ich habe dich geliebt.«
Ich habe dich geliebt!
In der Dunkelheit wiegen Worte, Sätze schwerer als am Tag. Als ob sich manche Gedanken und Gefühle nur nachts aus dem Tiefsten deines Inneren hervorwagen. Sie kön nen nur dann gefühlt, gedacht und ausgesprochen wer den.
Ich stand vor der Tür zum Krankenzimmer. Unten schlug die Haustür zu und ich hörte Stimmen.
Jetzt!
Leise drückte ich die Türklinke nach unten und schob mich ins Zimmer. Es herrschte völlige Stille. Der Mond spendete Licht genug, dass ich nach und nach Einzelhei ten registrierte. Zuerst das sperrangelweit geöffnete Fenster.
Dann suchten meine Augen nach dem Bett. Es stand links in einer Nische. Ich lauschte. Doch ich hörte nichts. Kein Rascheln. Niemand schien zu atmen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Meine Hand tastete sich die Wand neben der Tür ent lang, bis sie den Schalter fand. Im nächsten Moment er hellte grelles Neonlicht das kleine Zimmer.
Das Bett war leer.
Ich starrte es an.
Alles war frisch hergerichtet.
Die Angst legte sich auf mich, sie erstickte mich, bis ich keine Luft mehr bekam.
Wo war Nikolaj?
KAPITEL 17
H inter mir fiel die schwere Eingangstür ins Schloss. Für einen kurzen Augenblick blieb ich stehen und hob mein Gesicht in den dunklen Himmel. Mit jedem Atemzug blies ich weiße Wolken in die Luft. Ich fröstelte in der dünnen Sweatshirtjacke. Aus der Aula dröhnte der Sommerhit This is the life von Amy Mcdonald. Der Saal bebte. Die Party be fand sich auf dem absoluten Höhepunkt.
Ich entschied mich für den Weg am Jungenhaus entlang und bog nach rechts.
Alles war ruhig.
Einige der Glühbirnen, die den Kreuzgang nachts er leuchteten, waren ausgefallen und niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zu ersetzen. Ich tastete mich von Säule zu Säule die eiskalte Wand entlang, als hätte ich keinen Boden unter den Füßen. Als befände sich unter mir Was ser, dessen Tiefe ich nicht abschätzen konnte, bewegte ich mich langsam vorwärts. Im Halbdunkel tauchten ab und zu Steinfiguren auf, die sich in den Nischen des Kreuz ganges verbargen.
In der Aula wurde nun die Musikanlage auf Anschlag ge dreht. Der Saal grölte – wenn auch nicht gerade im Takt – Völlig losgelöst von der Erde .
Die Tritte auf dem Steinboden registrierte ich zunächst nicht. Doch als das Lied zu Ende war und das nächste noch nicht begonnen hatte, vernahm ich dumpfe, schnelle Schritte. Jemand nahm denselben Weg wie ich und hatte es eilig. Einer von den Jungs? Sie brüsteten sich immer wieder damit, dass sie hier nachts an die Säulen pinkelten. Im nächsten Moment glaubte ich, bereits den Urin zu riechen, und presste mich an die Wand. Der Stein war eisig, als hätte er die Kälte vergangener Jahrhunderte gespeichert.
Es folgte ein leises Trippeln, das schließlich lauter wur de. Es klang nach hohen spitzen Absätzen.
Ohne zu überlegen, kletterte ich über die Mauer, die mich vom Innenhof trennte, und mein Kopf verschwand hinter der Brüstung. Gleich darauf hörte ich ein Mädchen
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