Aschenputtelfluch
fertiggemacht haben! Aber warum?
Es ist Pink! Sie ist wie ein Virus. Sie schleicht sich in die Seelen der anderen und steckt sie an mit all dem Bösen, was in ihr ist.
Kiras Stimme klang traurig – ich aber war wütend. Ich brannte vor Zorn.
Ich warf einen Blick auf die Uhr und klappte den Laptop zu. Auch wenn ich darauf brannte weiterzulesen, blieb mir nur noch eine Viertelstunde bis zum Kontrollgang der Sturm. Und danach würde ich Nikolaj treffen! Endlich! Und vielleicht, vielleicht würde dann alles gut werden!
Als ich in unser Zimmer kam, machte Meg keine Anstal ten, mich zu begrüßen. Keine Regung, als ich im Wasch raum verschwand, kein Muckser, als ich zurückkam und mich ins Bett legte. Allerdings sah sie auch nicht so aus, als ob sie vorhatte, sich wegzuschleichen. Sie lag mit dem Rücken zu mir im Bett und las. Nur das Blättern der Seiten war zu hören. Woher kam nur dieses Gefühl, dass sie gar nicht wirklich las? Dass sie vielmehr auf etwas wartete?
Das Schweigen hing im Zimmer und verband sich mit der Dunkelheit zu einer unüberwindbaren Mauer, die nichts durchdrang.
Ich hörte Frau Sturm den Gang entlanggehen. Ihr »Gute Nacht« klang so fröhlich und so schrecklich gut gelaunt, als kämen mit der Dunkelheit gute Geister. Das Gegenteil war der Fall. Vor dem Fenster zogen Wolkenfetzen am Vollmond vorbei wie Schatten von Gespenstern, die anho ben, ihr nächtliches Unheil zu treiben. Ich kroch tiefer un ter die Bettdecke.
Im nächsten Moment öffnete Frau Sturm die Tür.
»Auch euch eine gute erholsame Nacht! Möge der morgi ge Tag mit einem Lächeln beginnen!«
Meg gab den Gruß nicht zurück und auch ich dachte, dass eisiges Schweigen die einzige Antwort auf so einen bescheuerten Satz sein könnte.
Dann schloss sie endlich die Tür und ich hörte Megs De cke rascheln. Mir entging auch nicht, wie sie sich aus dem Bett erhob, um sich leise anzukleiden.
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Ich konnte nicht hier liegen bleiben, warten, nichts tun!
Sollte ich Meg fragen, ob ich mitkommen konnte? Ich könnte Nikolajs Einladung erwähnen.
Nein, auf keinen Fall! Lieber würde ich mir die Zunge ab beißen. Und er hatte mich vor dem ganzen Vorfall eingela den. Da hatte er mich noch nicht für eine Diebin gehalten. Denn dass er das glaubte, davon war ich inzwischen voll kommen überzeugt. Mann, Jule, sagte ich zu mir selbst, er hat die Ohrringe gesehen, gehört, wie du gelogen hast. Was soll er denn anderes denken?
Andererseits hatte er Pink eine Abfuhr erteilt. Vielleicht hatte ich eine Chance, wenn alle versammelt waren, die sen Irrtum aufzuklären. Ich sollte ihnen einfach von Kiras Tagebuch erzählen.
Nein! Im gleichen Moment wusste ich, dass ich das auf gar keinen Fall tun würde. Was Kira ihrem Tagebuch an vertraut hatte, war ihr Geheimnis gewesen, waren ihre in timsten Sorgen und Nöte. Nach all dem, was sie getan hat ten, konnte ich sie – Kira – nicht preisgeben, nur um mei ne eigene Haut zu retten.
Ich wartete also, bis Meg das Zimmer verließ. Innerhalb von Sekunden war ich aus dem Bett und hatte mich ange zogen.
Auf dem Flur herrschte eine geradezu unheimliche Stil le.
Die Luft war draußen schwer und feucht. Es roch nach den ersten Blättern, die der Wind von den Bäumen wehte; nach Nebel, der am Morgen und wieder am Abend durch das Tal kroch. Der Herbst kam früh in Ravenhorst.
Die Glocke schlug elf Mal. Als ich die Holztür vom Hin terhof der Küche zum Friedhof aufstieß, hörte ich leise Stimmen. Ich wandte mich nach rechts.
Ich hatte mich darauf eingestellt, hatte versucht, mich wappnen, aber der Schmerz traf mich trotzdem scharf und unvermittelt.
Nikolaj war nicht gekommen.
Das Licht der Totenleuchte war erloschen. Niemand hat te eine neue Kerze hineingestellt. Die nächste ist für dich, dachte ich.
Mann, Jule, hör auf!
Das sind Gedanken, die in der Nacht entstehen. Morgen früh lachst du darüber, sagte ich mir, wusste aber gleich zeitig, dass es nicht so sein würde.
Mein Blick flog über die Gruppe. In der Gestalt ganz rechts erkannte ich Sonja. Sie stand dicht neben Bastian und ich ertappte mich dabei, dass ich sie beneidete.
Ich beobachtete, wie sie zur Kirche gingen, wie sie ihre Vorbereitungen trafen. Gleich würden sie die Wände hochklettern, um das ultimative Abenteuer zu erleben. Welches Risiko – nur für das Gefühl, Macht zu haben? Der König der Welt zu sein? Oder ihn vielleicht nur zu spielen?
Der Wind trug Megs Stimme zu mir herüber.
Weitere Kostenlose Bücher