Ash Grey
immer dort. Dina und ich gehen ins Excel seit wir dreizehn sind. Damals hatten wir gefälschte Ausweise und viel zu viel Farbe im Gesicht. Heute weiß ich, dass grüner Liedschatten nichts für mich ist.
Die ersten paar Töne lassen mich aufhorchen, genau wie alle anderen im Raum. Ich kenne den Song nicht, aber das würde ich gerne ändern. Die Musik kommt vom Tresen, dort wo sich die Menschentraube gebildet hat. Juli grinst und geht voraus. Ich folge ihm. Wir bleiben weiter hinten stehen. Ich bin zu klein um bis nach vorne zu sehen, aber das stört mich nicht, ich konzentriere mich sowieso nur auf die Melodie. Ich kenne den Song doch, er ist schon älter, aber ich verliebe mich jetzt erst in ihn . Bon Jovi – Dead or Alive . Als die zweite Gitarre einsetzt, bekomme ich Gänsehaut. Sie spielen nur kurz zusammen, vielleicht zwanzig Sekunden, dann ist alles vorbei.
>> Schluss jetzt! << , höre ich eine Stimme rufen.
Ich sehe einen dunkelblonden Haarschopf, dann erkenne ich, dass er das Linkin Park Shirt trägt. Er hat eine der Gitarren gespielt.
>> Wenn ihr uns hören wollt, dann morgen im Moon! Hier verkaufe ich das Zeug nur! <<
Er hält die Gitarre hoch die er gerade gespielt hat. Sie ist nagelneu, wahrscheinlich hat er sie nur vorgeführt. Er drängt sich durch die enttäuscht seufzenden Leute nach hinten und bleibt ganz in der Nähe von Juli und mir stehen. Er ist jung, vielleicht zwanzig. Auf seinen Wangen bilden sich Grübchen wenn er lacht.
>> Vielleicht spielt euch Felix ja was! Ich muss hier arbeiten! << , meint er und mustert mich kurz als er an mir vorbeigeht.
Ich sehe weg, hinüber zu Julis Freundinnen die etwas weiter vorne stehen. Dort wird noch eine Gitarre gespielt, ganz leise. Er sitzt auf einem Stuhl neben den Tresen. Ich sehe weizenblonde Haare.
>> Die sind krass gut, oder? <<
>> Hm? <<
Ich zeige mich auf Julis Frage wenig eloquent, weil ich abgelenkt bin. Ich will wissen wer da spielt, weil es surreal schön klingt. Diesmal erkenne ich den Song wirklich nicht. Als ich ein paar Schritte zur Seite mache, kann ich ihn sehen. Er spielt nur für sich, nicht für die anderen, zumindest erweckt es den Anschein. Er sieht aus wie ein junger, nüchterner Kurt Cobain, nur mit weicheren Gesichtszügen und Undercut. Er trägt ein langärmliges, hochgekrempeltes Shirt. Ich habe noch nie so schöne Oberarme gesehen und Schultern. Er muss sportlich sein, oder gute Gene haben.
>> Hast du sie schon mal live gesehen? <<
Ich kann mich losreißen und mustere Juli fragend. Er deutete mit dem Kinn auf den Gitarrenspieler.
>> Wen habe ich live gesehen? <<
Er scheint zu begreifen, dass ich ahnungslos bin.
>> Ash Grey. <<
Der Name löst etwas in mir aus.
>> Spielt er in einer Band? << , will ich wissen und minimiere meine Lautstärke. Ich werde das Gefühl nicht los, die einzige in diesem Laden zu sein, die keine Ahnung hat.
>> Ja. Wundert mich, dass du sie nicht kennst. <<
Juli zieht eine Augenbraue nach obe n und ich senke den Blick. Ich rede dauernd über Musik, ich war mit einem Musiker zusammen, ich sollte Ahnung von der Szene haben.
>> Warst du nicht damals mit Jens beim „Battle oft the Bands“? Dort
haben sie den zweiten Platz gemacht, du müsstest sie gesehen
haben. <<
Die Erinnerung an den Wettbewerb lässt mich schaudern.
>> Ja, ich war dort, aber nicht bei den Auftritten. Ich bin im Hotelzimmer geblieben und habe versucht nicht zu sterben. Mir ging es beschissen, ich war krank. <<
Juli nickt und erspart mir weitere Fragen. Er weiß, dass ich nicht gerne über die Zeit mit Jens rede, oder nachdenke.
>> Jedenfalls sind sie richtig gut! Sie spielen oft in irgendwelchen Clubs, auf Festivals oder als Vorband. Dem Leadgitarrist gehört der Laden hier. <<
Juli dreht sich einmal im Kreis und zeigt dann auf den Jungen im Linkin Park T-Shirt, den er im Getümmel ausgemacht hat.
>> Sie covern viel cooles Zeug und spielen live besser als alle Independent Bands die ich bisher gehört habe! Eigentlich sind sie
ziemlich bekannt, es wundert mich, dass sie dir nicht schon mal
über den Weg gelaufen sind. <<
Ash Grey . Ich habe von ihnen gehört, aber auf der Bühne habe ich sie noch nicht gesehen. Ich schaue wieder hinüber zu dem Gitarristen mit dem weizenblonden Undercut.
>> Und wer ist das? <<
>> Schwul << , antwortet Juli wie aus der Pistole geschossen.
Ich sehe ihn schief an.
>> Er heißt „Schwul“? <<
>> Nein, aber das ist er. <<
Ich lache, aber nur kurz, dann sehe ich in die
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