Ashby House
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In diesen Stunden setzte in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Welle ein, die noch vor wenigen Tagen niemand hatte voraussehen können. In Kleinstadt-Supermärkten, Internet-Versandhandlungen und Auktionshäusern, Videotheken und den Souvenir-Shops auf dem Hollywood Boulevard waren Stephen-Steed-DVDs und -Memorabilia nahezu vollständig ausverkauft. Steeds erster straight-to-DV D-Flop , ›No Speed Limit‹, der wie Blei in den Kaufhausregalen gelegen hatte, landete in der Luxusausgabe mit zwei Bonus-DVDs und sieben unterschiedlichen Featurettes auf Platz 3 der Amazon-Verkaufscharts. So schnell die Warenwirtschaftssysteme den Ausverkauf registrierten und an die Produktionsfirmen weiterleiteten, so zügig gaben Verantwortliche Nachpressungen und Neuauflagen in Auftrag. Nach drei schweren Jahren, in denen die Einnahmen der Filmindustrie aufgrund von Piraterie stark eingebrochen waren, löste das Verschwinden des Hollywood-Herzensbrechers einen wirtschaftlichen Boom aus.
Es ist nicht immer die Präsenz einer Information, sondern häufig die Abwesenheit derselben, die einen Neugierigen auf den Plan ruft. Hector Slasher gehörte zu denen, die zwischenZeilen lesen konnten, die noch nicht einmal gedruckt worden waren. Diesem Spürsinn hatte er seinen Erfolg im Investigativ-Boulevard-Journalismus zu verdanken. Er war für die Reportage das, was der Paparazzi für die Fotografie ist. Von allen Schnüfflern war er der größte: der Cary Grant seines Faches, einzigartig und vielleicht am besten mit dem Begriff »Gentleman-Arschloch« zu beschreiben. Hector Slasher machte keine Notizen. Hector Slasher verfügte über ein fotografisches Gedächtnis. Es war ungewöhnlich, dass er Notizen für einen Fernsehbeitrag sammelte, doch in diesem Fall hatte er vermutlich geahnt, dass ihm eine wichtigere Aufgabe bevorstand, als seinen eigenen Beitrag zu sprechen. Und so hatte er seiner Cousine die Informationen hinterlassen, die er in der Gewissheit, dass sie von ausreichendem Interesse für »Sky News« sein würden, aus der Hand geben konnte.
Doch bei aller Sympathie für seine Kraut-Cousine: Slasher war kein Mann, der etwas verschenkte. Und so konnte Lotte Herbst nur auf das Material zurückgreifen, das ihr vorlag, und auf die Erfahrungen, die sie selbst in Ashby House gemacht hatte. Die wirklich spektakuläre Spur, die das Bild Lucille Shalotts für immer verändern würde, verfolgte Slasher gerade selbst.
»Die Stimmung in Ashby House war von der ersten Minute an gespannt. Zwischen den Schwestern Shalott herrschte ein kühler, wenn nicht gar rüder Umgangston. Es wird ihre Bewunderer schmerzen zu erfahren, wie verbittert die Fotografin über ihre Behinderung war und dass sie sich in ihrem Schmerz und Leid zunehmend zurückzog und die Führung des Haushaltes ihrer Schwester und einem Butler überließ. An der Fürsorglichkeit Laura Shalotts bestehen berechtigte Zweifel, und so überrascht es nicht, dass bereits am dritten Tag ihres Englandaufenthalts jede Spur von LucilleShalott fehlte. Es bleibt Spekulation, aber dennoch: Von drei Bewohnern blieben zwei übrig. Mit den Fragen, wohin Lucille Shalott verschwunden ist und was ihr angetan wurde, beschäftigt sich nun die Polizei, die mittlerweile das Militär zur Unterstützung herangezogen hat, um das Geheimnis um die Geschehnisse in Ashby House zu lösen und mit der Spurensuche zu beginnen. Anders als bei dem Unfall, der zu Lucille Shalotts Behinderung führte, dürfte es für die Verantwortlichen dieses Mal äußerst schwierig werden, ungestraft davonzukommen.
Beobachter beschreiben Laura Shalott als hartherzig, kalt und auf den eigenen Vorteil bedacht. Die Sechsunddreißigjährige hat nie eine Ausbildung gemacht und arbeitet seit Ende ihrer Schulzeit für Lucille Shalott. In eingeweihten Kreisen heißt es, Lucille habe sich ihrer angenommen, um zu verhindern, dass sie unangemessen in Erscheinung tritt. Laura Shalott stand mehr als zwanzig Jahre im Schatten der berühmten Schwester – ein Zustand, den sie offensichtlich nicht länger ertragen konnte. Auch wenn bislang die Beweise fehlen mögen – es scheint kein Zweifel daran zu bestehen, dass sie ein historisches Verbrechen begangen hat: Sie hat einen der berühmtesten Darsteller Hollywoods und eine einzigartige Fotokünstlerin auf dem Gewissen. Sie sehen die ›Sky Celebrity News‹, wir befinden uns in St. Just, ich gebe zurück ins Studio, und ich«, an dieser Stelle schickte sie einen bedeutungsvollen,
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