Ashby House
sog allen Sauerstoff auf.
Ihr Körper traf auf das Sprungtuch, wurde hochgeschleudert und schlug zwei Meter neben dem Tuch hart auf, federte nach und blieb reglos liegen. Gnädigerweise hatte das Bewusstsein sie schon vor dem Aufprall verlassen.
TEIL 4
HAPPY ENDINGS UND ANDERE HIMMELFAHRTEN
Love is, love is, love is … a big, scary animal!
Belinda Carlisle
KAPITEL 26
Lucille Shalott kehrte auf demselben Weg in die Neue Welt zurück, auf dem sie sie verlassen hatte: an Bord eines Ozeanriesen. Doch dies war nahezu die einzige Gemeinsamkeit, die Verlassen und Rückkehr aufwiesen. Nicht nur hatte sie wieder die volle Kontrolle über ihre Extremitäten, auch ihr Gesicht war dank eines zweimonatigen Aufenthalts in einer diskreten Klinik nahe Davos in tadellosem Zustand.
Anders als bei der Überfahrt von New York war das Publikumsinteresse an der Starfotografin jetzt so groß, dass es ihr unmöglich wurde, ihre Mahlzeiten im Speisesaal einzunehmen. Ihr erstes Auftreten dort hatte eine Art Massenhysterie ausgelöst – die Mitreisenden hatten sich quer durch den Raum fragende Blicke zugeworfen, bevor sie sich von ihren Stühlen erhoben und Lucille lautstark zujubelten –, so dass sie, einem Vampir oder einer verwunschenen Märchenprinzessin nicht unähnlich, es vorzog, nur des Nachts an Deck zu gehen, und die Tage nutzte, um sich von den Strapazen in Ashby House (das sie nach dessen dramatischem Verschwinden nur noch als »Ashtray House« bezeichnete) und der Gesichts-OP zu erholen.
Die Ebu Gogo (die britische Regierung hatte Lucille unter den gegebenen Umständen keinen Wunsch abschlagenkönnen) taten es ihr gleich. Nachts trappelten ihre kleinen Füße in maßgefertigten Schuhen an Deck. Verspielt, aber entschlossen begleiteten sie die Fotografin auf Schritt und Tritt, lachten viel, ahmten ihre Sprache nach und verbreiteten allgemeine Heiterkeit. Auf ihre musikalisch-mäandernde Art beschützten sie ihre neue Gönnerin, der bewusst war, dass sie mit der Gruppe zwergwüchsiger javanesischer Ureinwohner das coolste Spielzeug der Welt besaß. (David La-Chappelles Fotos der Diva mit ihrem Zwergenclan gingen wenige Wochen später um die Welt. Sie illustrierten den von ihr selbst verfassten Artikel in »Vanity Fair«, der ihr Coming-out als Intersexuelle enthielt.)
Zur Verleihung des »Excellence in Media«-Awards, der ihr im Rahmen der GLAA D-Media -Awards im selben Jahr in New York verliehen wurde, erschien sie allerdings so, wie es jemand wie Greta Garbo getan hätte: allein.
Noch während seines kurzen Klinikaufenthalts erhielt Stephen Steed zwei freudige Botschaften. Das American Film Institute verkündete, Steed den Lifetime Achievement Award zu verleihen, und auch das Kennedy Center plante eine Ehrung des Schauspielers (durch das Programm, das amerikaweit im Fernsehen übertragen werden würde, würde Nicole Kidman führen). Dieser Ehre nicht genug, hatten sich die Brüder Weinstein, die gut zwei Drittel von Steeds Filmen produziert hatten, etwas ganz Besonderes einfallen lassen 3 .
Man hatte einen Zug angemietet, der Stephen nach seinem Eintreffen in New York durch das ganze Land bis nach Los Angeles fahren sollte. Von einem Triumphzug zu sprechen, wäre eine Untertreibung.
In vierzehn ausgesuchten Städten der Vereinigten Staaten besuchten fast eine Million Amerikaner die Bahnhöfe, um ihrem verloren geglaubten Helden zuzujubeln. Wo immer Stephen Steeds Heimkehrzug erwartet wurde, brach Verkehrschaos aus. Schulunterricht entfiel, Blumenläden waren bereits in den frühen Morgenstunden ausverkauft, Polizei, Militär und Feuerwehr schoben, ohne zu murren, Sonderschichten, weil sie selbst Teil sein wollten – Teil an dem amerikanischen Gesamtkunstwerk: der historisch spektakulärsten Rückkehr eines Verlorengeglaubten, der weltweit größten aller Homecoming Queens.
Einzig der Präsident reagierte irritiert über diese ihm unliebe Form des Nationalismus. Steed war ein berüchtigter Demokrat, und seine Heiligsprechung (denn von nichts anderem wurde die Welt in diesen Tagen und Wochen Zeuge) könnte Konsequenzen für das Ansehen seiner Partei haben.
Was Diana, Prinzessin von Wales, durch ihren Tod ausgelöst hatte, das bewirkte Stephen Steed mit seinem Überleben: Er vereinte die Massen. Der neue Kult um seine Person übertraf sogar den um ihn als Filmstar.
Einen wichtigen Termin vorschiebend, hatte sich anstelle des Gouverneurs der Vizepräsident angeboten, Stephen von Bord der
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