Ashby House
wo sich die Errungenschaften des Technikzeitalters weit weniger gravierend ausgewirkt hatten als in der westlichen Welt. Da es auf der Insel Flores jedoch keine Ureinwohner mehr gab, entschied man sich für die Andamanen, eine Inselgruppe im Indischen Ozean. Und wer wäre besser geeignet, diese Forschungen zu leiten, als die Geschwister Ashby?
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden die Ashbys, ein vierköpfiges Forschungsteam kleinwüchsiger Wissenschaftler und Lucy Gray auf eine kleine Insel der Andamanen expediert, die von einem Volksstamm, den man als »die Schlumpen« bezeichnet 4 , besiedelt ist. Normalerweise lassen die Schlumpen keine Besucher zu und begrüßen Einreisende konsequent mit Pfeil und Bogen. Die Ashbys haben verlautenlassen, dass die hellhäutige Lucy Gray von den ebenfalls kleinwüchsigen Einwohnern nicht nur aufs Freundlichste willkommen geheißen wurde, sondern geradezu kultisch verehrt wird und dass sie es war, die eine Massenflucht des Dorfes in die Baumwipfel veranlasste, als die tödliche Tsunami-Welle im Dezember 2004 über der Inselgruppe niederging und unzählige Menschenleben forderte.
Die Ashbys liefern bis zum heutigen Tag wichtige Informationen über die Alltags- und Gedankenwelt der bis dato gänzlich unerforschten Schlumpen, in deren Volksglauben von einer alten weißen Frau und ihrem Hofstaat die Rede ist, die Rettung und Heil bringen soll. Sie sei über das Wasser gekommen und würde das Wasser bannen, wenn die Flut käme.
Ebu Gogo bedeutet in der Übersetzung »eine Großmutter, die zu viel isst«. Die Schlumpen nehmen diese Bezeichnung wörtlich und erweisen ihre Verehrung mittels opulenter Gelage. Lucy Gray ist heute eine eher rundliche Albino Ebu Gogo und hat Freundschaft mit Lolo Gam, dem Sohn des Häuptlings der Schlumpen, geschlossen. Ihre rundliche Figur ist nicht nur eine Folge ihrer guten Ernährung: Sie ist zum Zeitpunkt dieses Berichtes im dritten Monat schwanger und wird den Fortbestand ihrer Art (zumindest zu fünfzig Prozent) sichern.
KAPITEL 27
Der Februar ist ungewöhnlich mild. Es ist kein Rest von Schnee mehr zu sehen, und die Hügel Cornwalls schimmern frühlingsgrün. Erste Krokusse schießen aus dem Boden und setzen quietschfarbig-kitschige Akzente. St. Just hat sich von dem Schock erholt, und bereits jetzt in der Vorsaison ist das Touristenaufkommen deutlich höher als in den vergangenen Jahren. Die Dorfbewohner könnten über dem Katastrophentourismus zynisch werden, doch da der Tourismus die bedeutendste Industrie der Gegend ist, seit vor mehr als hundert Jahren die alten Minen geschlossen wurden, duldet man die Sensationslust und lächelt die neugierigen Reisenden freundlich an. Ein keltisches Festival hat sich bei der Gemeinde um die Genehmigung eines Musik-Events nahe des alten Steinkreises bemüht, wurde jedoch abgelehnt. Die diesbezügliche Ratssitzung dauerte genau achtundzwanzig Sekunden.
Das »Star Inn« wirft zum ersten Mal seit seinem Bestehen Gewinn ab. Doch Hector Slasher kann sich darüber nicht freuen. Seit den Geschehnissen in Ashby House ist er ein verwandelter Mann. Man kann zwar nicht behaupten, dass er bereut – nach wie vor trifft auf ihn die Bezeichnung »Gentleman-Arschloch« zu. Dennoch hat er den Dienst für »Sky Celebrity News« quittiert. Die Entscheidung fällte ernicht allein. Da er sich weigerte, über seine Insider-Erlebnisse zu berichten, wurde er suspendiert. Die resolute Lotte Herbst ist in seine Fußstapfen getreten. Sie hat die gleiche Schuhgröße wie er.
Laura ist die letzte Anwesende unserer amerikanischen Protagonisten in dem beschaulichen Küstendorf. Die alleinstehende Kathy Claighbourne hat ihr ein Gästezimmer in ihrem pittoresken Cottage angeboten, das Laura, zunächst skeptisch, angenommen hat, bis sie die Gutmütigkeit der Gemeindesekretärin zu schätzen lernte und sich auf ihre erste Frauenfreundschaft seit Trixy und Kristy einließ. Dass Kommunikation zwischen Frauen sich nicht notwendigerweise auf Anschuldigungen und den Austausch von Beleidigungen beschränken muss, ist Laura noch neu, aber sie gewöhnt sich an diesen neuen Umgang und beginnt, sich zu entspannen.
Bis vor wenigen Tagen war auch Jeraldine Dvorak im Haus von Kathy Claighbourne untergebracht. Die drei Damen hatten einander viel zu berichten.
Es ist die Nacht vor Jeraldines Abreise nach Hollywood. Die drei ungleichen, aber durch das Schicksal zusammengeschweißten Frauen haben den Abend gemeinsam vor Kathy
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