Ashby House
an.
Slasher sagt nichts. Beide stehen sich gegenüber wie Verbrecher, die sich gegenseitig ertappt haben. Bis Laura anfängt zu lächeln und dieses Lächeln sich in ein breites Grinsen verwandelt. Jetzt hat sie begriffen, dass Slasher Lucilles kleines genetisches Geheimnis gewahrt hat und immer wahren wird, weil er wusste (und wollte), dass Laura früher oder später
sein
Geheimnis erfahren würde. Sie greift in das Geheimfach des Schreibtisches und holt das Diamantcollier heraus, das sie Mowgli umgelegt hatte, nachdem er Steerpike aus dem Dunklen Raum gerettet hatte.
Slasher lächelt verlegen. Er weiß, dass sie weiß. Niemand hat je den Hund und den Reporter gemeinsam gesehen. Slasher mag Lucille in der Hand haben, doch Laura hat ihn in der Hand. Das Gefühl gefällt ihr ausgesprochen gut. Neben dem Triumph breitet sich jedoch auch das andere Gefühl in ihr aus.
Noch am selben Abend werden beide das L-Wort aussprechen, nicht wissend, ob sie Begierde mit Liebe verwechseln.
Doch zuvor nimmt sie das Halsband zwischen die Finger, strahlt und geht auf Hector Slasher zu. »Lass mich sehen – es stand dir immer so gut!«
Es ist Anfang März, die Sonne scheint, Laura, in Tweed und Karo, hat gerade die Einkäufe vom Markt ins »Star Inn« gebracht, ihrem Verlobten gesagt, dass sie sich vorstellen könne,eines Tages mit ihm Kinder zu haben, selbst wenn es sich dabei um Werwölfe handele. Sie kann noch über jeden ihrer Werwolf-Witze lachen – Slasher ist derer etwas überdrüssig.
»Es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn du endlich damit aufhören würdest!«
»Und mir wäre es wirklich sehr lieb, morgen früh aufzuwachen und Schallplatten zu verkaufen wie Madonna.«
Dann lachen beide und küssen sich.
Erst jetzt, als sich ihr Leben beruhigt hat und ihre Liebe sich festigt, bringt Laura Shalott es über sich, die Grabstätte von Steerpike aufzusuchen. Als Steerpike symbolisch beerdigt wurde, lag sie noch auf der Intensivstation des Krankenhauses von Penzance. Auch wenn sie weiß, dass sein Leichnam nicht unter der Erde ruht, fühlt sie sich verpflichtet, endlich Abschied zu nehmen.
Sie betritt den Friedhof mit einem Strauß Gartenblumen, die sie auf dem Markt gekauft hat. Obwohl sie den Ort seiner letzten Ruhestätte nicht kennt, ist es ein Leichtes für sie, sein Grab zu finden – Lucille hat für ein auffälliges Mausoleum gesorgt, das einem Hollywood-Friedhof alle Ehre machen würde. Nach Vorlage einer von Laura selbst angefertigten Skizze und unter Verwendung von Steerpikes Passbild haben die Ebu Gogo eine zweieinhalb Meter große Skulptur gefertigt, die seine Himmel- (oder Höllen-)fahrt zeigt. Seine schulterlangen, glatten Haare fliegen, seine Arme sind zum Himmel emporgestreckt. Liebevoll im Detail und für einen Gottesacker ungewöhnlich erotisch, erheben sich marmorne Brustwarzen durch sein flatterndes weißes Hemd, an dem die meisten Knöpfe offen stehen und den Blick auf eine perfekt gewölbte Schwimmerbrust und eine gut ausgebildete Bauchmuskulatur freigeben. Ein Superman-Cape würdeihm gut stehen, denkt Laura, oder Flügel. Und muss weinen.
Die Skulptur hat in der Region Furore gemacht – die weiblichen Teenager von St. Just (und auch einige männliche) pflegen Steerpikes letzte Ruhestätte liebevoll. Grablichter leuchten in Blau, Gelb und Rot, und bunte Blumensträuße wehen in der leichten, salzigen Meeresbrise. Laura legt den Strauß auf die Marmorplatte, unter der ein Sarg ruht, in dem sich nur eine zerrissene Jeans und ein schwarzer Wollpullover befinden.
Eine Träne fällt auf die Grabplatte, und zum ersten Mal nimmt Laura die vollständige Inschrift wahr. Jonathan Steerpike. 1968 – 2004.
»Ich kannte nicht einmal deinen Vornamen.« Aus irgendeinem Grund ist es diese Feststellung, die sie zu einem Weinkrampf hinreißt, der alle Emotionen, die sich in den vergangenen Monaten aufgestaut haben, gute wie böse, aus ihr herausspült. Es ist ein reinigendes Weinen, und doch schmerzt es sie. Jonathan Steerpike hinterlässt keine Erben. Dennoch trifft zu und wird auch die nächsten hundert Jahre zutreffen, was unter seinem Namen und seinen Lebensdaten auf der Grabplatte steht: »Unvergessen«.
Dort, wo früher ein Haus aus Cornwall Stone stand, ist heute kaum etwas zu sehen. Das liegt nicht nur an den Bauzäunen, die das Grundstück weiträumig absperren und den Unmut von Touristen wie Bevölkerung erregen könnten, da sie mit ihrer pragmatischen Hässlichkeit das
Weitere Kostenlose Bücher