Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
doch irgendein System dahinterstecken«, überlegte Kincaid. »Anders ist es nicht zu erklären. Wenn ich mich recht erinnere, klappte das bei dir immer wie am Schnürchen. Vielleicht hat jemand ein bisschen nachgeholfen?« Kincaids Stetson bewegte sich leicht, und Lena spürte den Blick des Alten auf ihrem Gesicht. »Vielleicht jemand aus der Gegend? Der dir Tipps gibt, wo und wie du suchen musst?«
Ehe Lena darauf antworten konnte, entgegnete Chris: »Wie Sie bereits sagten, sitzen Sie selbst ja auch hier, Doc. Wollen Sie mir erzählen, was mit Alex passiert ist?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Chris«, erwiderte Kincaid. »Als ich Alex zuletzt sah, war alles okay. Wenn überhaupt, dann hat es vielleicht am ehesten etwas mit diesem Jungen zu tun … «
Plötzlich blitzte etwas auf. Auf dem Kutschbock zuckte Seth zusammen, gleichzeitig warf sich Chris mit rasselnder Kette auf Lena. Sie landete unsanft auf der Holzpritsche und schrie auf, als sich die Kette um ihre Hüfte spannte.
»Chris?«, stieß sie hervor. »Was … «
»Da schießt einer.« Vorsichtig hob er den Kopf ein paar Zentimeter. Das Fuhrwerk war schlingernd zum Stehen gekommen. »Seth liegt unten. Gott sei Dank sind die Pferde nicht durchgegangen. Kincaid, alles in Ordnung?«
»Ja.« Lena hörte das Schaben von Metall auf Holz, als sich der alte Arzt bewegte. »Wir sind immer noch in Rule«, stellte Kincaid fest. »Wer zum Teufel … «
Lena spitzte die Ohren, als sie gedämpftes Hufgetrappel hörte. »Bleib unten«, murmelte Chris ihr zu. Sie spürte, wie er sich auf den Rücken drehte. »Sie auch, Doc.«
Neben dem Kutschbock rührte sich etwas. Eine Gestalt, mannsgroß und schneebedeckt, schob sich in den Lichtschein der Laterne. Als sie den Kopf zu den Gefangenen drehte, hätte Lena beinahe losgekreischt – der Mann hatte kein Gesicht.
Dummkopf . Ihr Puls raste. Er hat bloß eine Skimütze auf, weiter nichts.
Die Gestalt verschwand aus Lenas Blickfeld. Doch sie spürte, wie der Mann an dem Karren entlangschlich. Und dann neigte er sich ein wenig zur Seite, als sich der Unbekannte daran hochzog …
Chris trat mit beiden Beinen zu. Als seine Stiefel auf der Brust des Unbekannten aufprallten, gab der ein Grunzen von sich und geriet ins Taumeln. Mit einer Hand hielt er sich an der Seitenwand fest, doch Chris trat erneut zu und quetschte die Finger des Mannes. Er heulte auf, und Chris rappelte sich hoch. Nun hatte er die gefesselten Hände vor dem Körper, holte zu einem beidhändigen Faustschlag aus …
»Nein, Chris!« Auf Kincaids Seite der Pritsche machte jemand einen Sprung auf Chris zu. Überrascht entfuhr ihm ein Schrei, als ihn der Mann von hinten festhielt. Rangelnd und hauend stolperten sie über Lena und Kincaid. Lenas Kopf knallte gegen Holz und Kincaid rief: »Halt, halt, halt!« Aber Chris wehrte sich weiter, bis der zweite Mann rief: »Halt, Chris, ich bin’s, Weller!«
»Weller?« Chris klang verdutzt. »Was machst du … «
»Wir müssen uns beeilen«, fuhr Weller ihn an. Ein Klicken, dann ein gelber Lichtkegel. »Streck die Hände aus, Chris. Nathan, alles in Ordnung?«
»Ja.« Der Mann, den Chris getreten hatte, zog seine schwarze Sturmhaube ab. »Aber ich hab’s satt, dauernd zusammengeschlagen zu werden«, maulte Nathan.
»Was macht ihr hier?«, fragte Chris.
»Wonach sieht es denn aus?« Weller warf Chris’ Handschellen auf den Boden. »Wir retten euch den Arsch.«
19
Oren?« , fragte Chris ungläubig. Das Unwetter nahm an Heftigkeit zu. Schmelzwasser rann Chris den Hals hinunter, und er spürte nun die Kälte, während ihm Schneeflocken, von jähen Windböen getrieben, wie eisige Nadeln ins Gesicht stachen. Sie kauerten immer noch in dem Karren, doch jetzt saß Weller, der Seth’ Leichnam ungerührt zu Boden gestoßen hatte, auf dem Bock. Inzwischen hatte sich schon eine Schneedecke daraufgelegt. Außer seinem Rotschimmel und Nathans Rotfuchs, beide mit prall gefüllten Satteltaschen, hatte Weller noch einen rassigen Schimmel mitgebracht. Die Pferde stampften und blähten die Nüstern und schüttelten sich in unregelmäßigen Abständen den Schnee von den Leibern. »Nur damit ich das richtig verstehe: Du willst, dass wir abhauen, und zwar jetzt und bei dem Wetter?«
»Ja«, antwortete Weller gedehnt. Nathans Unterlippe war zur Größe einer Bratwurst angeschwollen, deshalb übernahm Weller das Reden. Obwohl er in Michigan aufgewachsen war, machte er anscheinend gern einen auf Cowboy. »Deshalb hab ich das
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