Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
der schnellsten Kugel durch die Schwerkraft beeinflusst wurde. Doch wenn sie ihm freie Bahn gab …
Seine Bravo 51 war durchgeladen und schussbereit, die Arretierung bereits auf seine Größe eingestellt. Schnell klappte er die Stützen aus und stellte das Zweibein in den Schnee, dann richtete er sich auf. Den Kolben gegen die rechte Schulter gepresst schaute er mit seinem superscharfen Auge durchs Zielfernrohr – und hätte fast gelacht. Er brauchte doch gar kein Zielfernrohr mehr. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Der Kopf des Jägers kam in sein Visier, so stark vergrößert, dass Jed die Augenfarbe des Mannes erkennen konnte: braun.
Ein Schuss. So klappt es. Abel wird vor Schreck erstarren, dann knall ich ihn auch ab.
Er hoffte nur, dass Grace geistesgegenwärtig genug war, sich nicht vom Fleck zu rühren, bis beide Männer erledigt waren. Und dann das tat, was sie bereits für den Notfall besprochen hatten: sich zuerst im Schlafzimmer und dann im Bad einschließen. Denn gewiss gab es weitere Kopfgeldjäger, die durch die Schüsse zum Haus gelockt wurden. Während sie damit beschäftigt waren, die Tür aufzubrechen, hatte sie genug Zeit, durchs Badfenster zu fliehen. Bis dahin wäre er am Haus angelangt und könnte mit ihr fliehen. Falls nicht, würde sie zum Rübenkeller hasten und die Tür hinter sich mit einem Vorhängeschloss sichern. Es waren massive Türen mit guten Eisenscharnieren. Man brauchte zu viele Kugeln, um sie zu durchlöchern, und die Kopfgeldjäger würden ihre Munition sowieso nicht für eine alte Frau wie sie verschwenden wollen.
Tom war der einzige Unsicherheitsfaktor, der ihnen einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Der Junge würde den ersten Schuss hören. Herrgott, Jed hoffte, er war schlau genug, um zu wissen, dass es immer ein Fehler war, in Richtung eines Schusswechsels zu rennen.
Gebrauch deinen Verstand, mein Sohn. Schlag einen Bogen und …
Rundes Metall drückte hart auf seinen Scheitel. »Das würde ich nicht tun«, sagte der Kopfgeldjäger.
Jed erstarrte. Jetzt ganz schnell, zack, zack! Es blieb einfach keine Zeit, sich irgendetwas zu überlegen, und sich ergeben war keine Option. Grace würde es verstehen. Besser noch, sie wüsste genau, was als Nächstes zu tun war. Himmel, hoffentlich wusste Tom es auch.
Sei klug, mein Sohn. Denk darüber nach, was du da hörst, und hau ab.
»Dann ist es wahrscheinlich gut«, erwiderte er dem Mann, dessen Gesicht er nicht sah und niemals sehen sollte, »dass ich nicht du bin.«
27
B eretta stürzte als Erster aus dem Wald. Er atmete so schwer, dass er hechelte wie ein Hund. Seine Jacke war zerrissen, Schnitte und tiefe Kratzer zogen sich kreuz und quer über sein Gesicht. Außerdem hatte er unterwegs einen Handschuh verloren. Pickel holte ihn ein, gerade als Berettas Knie nachgaben, und schließlich trug er ihn mehr, als er ihn zog, zum Feuer. Nach und nach kamen noch mehr Veränderte aus dem Wald – auf Skiern.
»O Gott.« Rubys Stimme bebte. »Noch mehr ?«
Eine andere Bande, vermutete Alex. Die Neuankömmlinge waren zur Hälfte Jungen, zur Hälfte Mädchen und trugen fast alle dieselbe Kleidung: ganz in Weiß mit ebensolchen Sturmhauben, sodass man nur die dunklen Augenlöcher sah, wie leere Augenhöhlen in Schädeln. Alle Veränderten hatten sich ein bunt gemustertes Band im Stil von Kamikazepiloten um die Stirn gewickelt, allerdings aus tätowierter Haut. Sobald sie zum Stehen gekommen waren, hievten sie ihre tarnfarbenen Armeerucksäcke von den Schultern.
»Meine Güte, die haben militärische Ausrüstung«, sagte Ray.
Er hatte recht, doch Alex wusste, dass die Rucksäcke nicht diesen neuen Veränderten gehörten. Die Gerüche der Vorbesitzer waren noch ziemlich frisch. Sie inhalierte ein zweites Mal, diesmal tiefer. O mein Gott, Essen. Zimt und Rosinen, Erdnüsse und Schokolade, und Cracker, da waren Cracker und … Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, und sie spürte, wie ihre Knie zu zittern begannen. Es könnte sogar ein Stück Käse dabei sein. Ihr Hunger war so groß, dass sie nicht einmal der Gedanke störte, dass die Eigentümer dieser Rucksäcke noch vor Kurzem am Leben gewesen waren. Sie wollte einfach nur essen.
Da stieg ihr plötzlich der Geruch von Spinne in die Nase, und sie erspähte das Mädchen, das nun wie ein böser Traum auf Skiern aus dem Wald glitt. Ihr Wolfsfell und der Parka waren mit Blut besprenkelt. Außerdem hatte sich unterwegs ihr Haar gelöst und hing ihr wirr ins Gesicht.
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