Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
flogen, blah, blah, blah. Für diese Psychotante gehörte der Traum zu Alex’ Fantasie, dass ihre Eltern irgendwo noch am Leben waren.
Was Alex für kompletten Schwachsinn hielt. Ihre Eltern waren tot. Das wusste sie. Der Traum hing damit zusammen, dass ihr Leben entgleiste, dass es ihr um die Ohren flog und sie mit nichts als der Asche zurückließ.
Was sich jetzt mit Tom wiederholte.
Als sie aufwachte und sah, dass Toms Haut schweißnass war, er hohes Fieber hatte und sein Puls raste, wusste sie, dass sie nicht länger warten durfte. Sie musste Hilfe holen, sonst würde Tom sterben. Vielleicht starb er auch, bevor sie zurückkam, falls sie das überhaupt schaffte, aber sie konnte und wollte nicht einfach herumsitzen und abwarten, bis es geschah.
Tom bestand darauf, dass sie die Waffe mitnahm. »Du wirst sie vielleicht brauchen.« Die Haut seines kalkbleichen Gesichts war so durchscheinend, dass sie die feinen blauen Äderchen unter seinen Augen sah. Wenigstens hatte sein Schüttelfrost vorübergehend aufgehört. »Ich bleib ja hier.«
»Darum geht’s nicht. Aber wenn jemand reinkommt, hast du nur die Waffe.«
»Falls wirklich jemand einbricht – also wenn es noch mehr von ihnen gibt –, dann machen ein paar Kugeln auch keinen Unterschied. Außerdem glaube ich nicht, dass sie dafür genug Grips haben. Die denken zu eindimensional.«
Alex verstand, was er meinte, war sich aber nicht sicher, ob diese durchgeknallten Jugendlichen wirklich so strohdumm waren. Immerhin wussten sie, wie man sich warm hielt. Allerdings hätten die Kids sie beide leicht überwältigen können, wenn sie den Angriff geplant und dabei Hand in Hand gearbeitet hätten, das hatten sie nicht getan.
Aber das Mädchen hatte einen Knüppel. Und der Typ, der auf mich losgegangen ist, hat das Messer sehr schnell entdeckt. Sie haben zwar nicht zusammengearbeitet, aber das kann noch kommen.
Tom hob die Hand und berührte ihr Gesicht. Seine Finger waren kalt wie Eiszapfen. »Bitte, nimm sie mit. Wenn dir etwas zustößt, bin ich sowieso aufgeschmissen.«
Insgeheim dachte sie, dass ihre Chancen, erschossen zu werden, eher stiegen, wenn sie eine Waffe zückte. Angesichts ihres Alters wurde sie vielleicht sowieso gleich umgelegt.
»Gut«, willigte sie ein. Zu ihrer eigenen Überraschung beugte sie sich hinunter und küsste ihn. Sie wollte sich gleich wieder aufrichten, doch er fasste mit der anderen Hand in ihr Haar, hielt sie sanft am Hinterkopf fest und verwandelte den Kuss in etwas, das für sie bitte nie wieder aufhören sollte, schon weil es sich vielleicht nie wiederholen würde. Ihr wurde ganz warm und weit ums Herz, und Toms würzig-fremder Geruch erfüllte sie und überdeckte beinahe die Ausdünstung von Krankheit und Tod. Was für Geheimnisse Tom auch haben mochte, das hier war keine Lüge.
Als sie sich schließlich losmachte, sagte er matt: »Endlich. Etwas, wofür es sich zu leben lohnt.«
Sein Gesicht verschwamm zu schimmernden Prismen, und sie wusste, dass sie nie gehen würde, wenn sie jetzt in Tränen ausbrach. »Wage ja nicht, mir wegzusterben.«
»Noch bin ich da.« Aber dann jagte wieder – verstohlen, flüchtig – dieser gepeinigte Ausdruck über sein Gesicht. »Alex, was da passiert ist, bevor wir Ellie verloren haben … ich muss dir sagen …«
»Nein.« Sie legte ihm die Hand auf den Mund. Würde er denn nicht sterben, nachdem er es ihr gesagt hatte? War das nicht immer der Fall, wenn jemand in einem Film oder Buch eine Beichte ablegte? »Nein. Das ist jetzt egal. Erzähl es mir, wenn ich zurückkomme.«
Er nahm ihre Hand. »Es ist nicht egal. Du musst es wissen. Bitte, hör einfach zu.« Er hielt inne und schloss die Augen, geplagt von einem anderen, inneren Schmerz.
»Gut, ich höre«, gab sie nach.
»Du hattest recht.« Eine einzelne Träne rann ihm aus dem Augenwinkel über die Schläfe ins Haar. »Dass ich auf der Suche nach meinem Schicksal bin. Ich werde … kann dir jetzt nicht alles erzählen. Ein schlechter Zeitpunkt. Aber ich wollte, dass du weißt«, er öffnete die Augen und heftete den fiebrigen Blick auf sie, »dass ich es gefunden habe. Ich bin meinem Schicksal begegnet.«
»Ich auch«, erwiderte sie und meinte es auch so. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten wollte sie eine Zukunft haben, und sie wollte, dass Tom Teil davon war. Sie küsste ihn noch einmal und prägte sich Geruch und Geschmack und Gefühl genau ein.
Dann ging sie aus der Tür, verschloss sie und ließ ihn zurück.
37
A lex
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