Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
nicht mehr stoßweise, und sie wagte zu hoffen, dass Tom nicht noch mehr Blut verlieren würde. Trotzdem stand eins fest, er würde sich von hier auch mit ihrer Hilfe nicht wegbewegen können, dazu war er inzwischen viel zu schwach. Er hatte ja schon vorher eine infizierte Wunde gehabt, und sie war sich ziemlich sicher, dass menschliche Bisse genauso gefährlich sein konnten wie die von Tieren, vielleicht sogar noch schlimmer. »Was ist mit deinem Bein? Soll ich das auch mit Whiskey …«
»Schneid es auf.«
Alex erstarrte, sie konnte – wollte – ihren Ohren nicht trauen.
»Schneid es auf«, flüsterte Tom wieder mit dieser vor Schmerz krächzenden Stimme. »Z-zu viel Eiter … muss abfließen.«
»Das kann ich nicht«, widersprach sie entsetzt. »Tom, das geht nicht …«
»Bitte, Alex … ich kann es nicht selbst tun.« Er hielt inne, sein Brustkorb hob und senkte sich, sein Gesicht war schweißüberströmt. Als er weitersprach, keuchte er zwischen den einzelnen Wörtern: »Das M-messer … h-halt es … in die Flamme … zum Sterilisieren.«
»Aber ich werde dich verbrennen.«
Da lachte Tom, es war tatsächlich ein leises Lachen, das aber gleich wieder erstarb. »Das … geringste Problem. Haut … sowieso abgestorben, das Gewebe darunter … v-vielleicht okay. A-aber Eiter muss raus. Alex … b-bitte.« Seine fiebrig glänzenden Augen suchten ihren Blick, und sie las Verzweiflung und Angst darin. »Bevor ich n-nicht mehr den Mut habe …«
Es war wie seine Geschichte mit Crowe. Wenn Tom sie bat, so etwas zu tun, wusste er, dass er kaum andere Möglichkeiten – und auch keine Zeit mehr – hatte. Aber was, wenn er sich irrte? Was, wenn sie ihm damit mehr schadete als nützte?
Alex ging raus und holte das Messer, sie wand es dem toten Jugendlichen aus der verkrampften Hand. Dann stieß sie es mehrmals in den tiefen Schnee, um es zu säubern, und schrubbte mit Bourbon und Wasser nach. Am Eingang des Minimarkts drehte sie die Kappe von einer der Handfackeln und riss den Zündkopf an. Leises Zischen, Flackern, dann loderte die Flamme purpurrot. Der Messergriff bestand aus schwarzem Kunststoff, sodass er nicht heiß wurde, als sie die Klinge erhitzte und beobachtete, wie sich das Metall von silbern zu mattgold und dann zu einem leuchtenden Lavarot verfärbte.
»Tom«, sagte sie und kniete sich über ihn. Die Messerklinge glühte nur mehr in dunklem Orange, aber Alex spürte die Hitze und wusste, dass der Stahl immer noch sengend heiß war. »Bist du absolut sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt?«
»Schneid, so sch-schnell du kannst … ich beweg m-m-mich nicht. Du m-musst s-sehr tief schneiden. Die Hitze … hi-hilft gegen die Blutung. We-wenn der Eiter … kommt, hör auf …«, keuchte er. Dann drehte er sein Gesicht mit einem röchelnden Schluchzer weg, kniff die Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Dennoch durchfuhr ihn ein tiefer Schauder, ein unkontrollierbares Beben. »I-ich versuch d-dabeizubleib-ben … a-aber egal, w-was ich sage, h-hör nicht auf.«
Bitte, lieber Gott, flehte sie, als sie Toms Schenkel mit der schwärzlich verfärbten, böse klaffenden Wunde betrachtete. Bitte rette ihn. Bitte hilf mir.
Sie hatte in Filmen gesehen, wie Männer mit bloßen Händen nach der Kugel gruben. In Filmen wurden die Menschen ohnmächtig, wenn der Schmerz zu stark wurde.
Aber das hier war kein Film.
Es war sehr viel schlimmer. Denn Tom blieb bei Bewusstsein, und es dauerte nur drei Sekunden, bis er zu schreien anfing.
»Besser kann ich es nicht.« Sie wischte ihm die Tränen ab. Sein schmerzverzerrtes Gesicht war totenblass, seine Augen lagen in violett-schwarzen Höhlen. Die fleischigen Ränder seiner Wunde klafften auseinander, an seinem Schenkel liefen dünne Rinnsale hellroten Blutes entlang, aber es war wohl nur noch wenig Eiter drin. Die Luft stank nach fauligem Fleisch, erhitztem Eiter, gekochtem Blut. Alex zog die von all den Flüssigkeiten klatschnassen Matten unter seinem Bein hervor und schleuderte sie in den Schnee, bevor sie aus dem verlassenen Laster neue Matten holte. Sie hatte auch das rohe Fleisch an seinem Schenkel mit Bourbon desinfiziert, jetzt knäulte sie zerrissenen Hemdenstoff zusammen, füllte das entstandene Säckchen mit Schnee und wischte Tom damit den Schweiß von der Stirn. »Du stinkst wie eine Bar.«
»Ja.« Sein erschöpfter Blick blieb an ihrem Hals hängen. »’ne Menge … W-Wunden.«
Ihre Kehle war immer noch wie zugeschnürt. »Du
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