Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
bekam sie keine Luft mehr. Ihre Finger krallten sich in seine, aber er ließ nicht locker, er schüttelte sie jetzt, schlug ihren Kopf auf den verschneiten Asphalt. An den Rändern ihres Blickfeldes wurde es erst rot, dann schwarz, und dann rückten die Ränder immer näher zur Mitte, ihr Blickfeld wurde kleiner, enger. Ihre Lungen schrien nach Luft, ihr Puls hämmerte in ihrem nach Sauerstoff dürstenden Hirn. Zwar wehrte sie sich, aber der Junge drückte nur umso fester zu, seine Daumen pressten sich in ihre Kehle, was wahnsinnig wehtat: Es war nicht nur ein Brennen, sondern das Gefühl, als würde etwas entzweibrechen wie ein dürrer Ast. Arme und Beine gehorchten ihr nicht mehr, der Griff ihrer Hände wurde schwächer, allmählich verlor sie das Bewusstsein. Sie wurde gefühllos, ihre Kräfte schwanden, ebenso wie die Schmerzen. Die bittere Kälte war so unbedeutend wie Rauch, um sie herum wurde es schwarz, gleich würde sie in Bewusstlosigkeit hinübergleiten, und es gab nichts, was sie tun konnte …
Und da brachte ihr Verstand einen einzelnen Gedanken hervor, ein Wort, so klar und deutlich wie ein Scherenschnitt aus schwarzem Papier:
MESSER.
Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, zwang sie sich, die Hand des Jungen loszulassen und nach dem Messer in ihrem Stiefel zu tasten. Ihre Finger streiften über den Hosenstoff und krallten sich plötzlich krampfartig daran fest, doch nicht aus Überlegung, sondern weil sie dem Tod nahe war.
Da umschloss ihre Hand hartes Plastik.
Mit letzter Willenskraft riss sie das Messer aus der Scheide und bohrte die Klinge dem Jungen in die linke Flanke. Die Klinge war ziemlich scharf, und sie spürte nur ganz kurz Widerstand, als die Spitze auf Kleiderstoff stieß, dann glitt sie butterweich durch den Parka und das Hemd und senkte sich bis zum Heft in den Rücken des Jungen.
Brüllend bäumte sich der Junge auf. Augenblicklich lösten sich seine Hände, und Alex japste wie ein Fisch, sog tief und pfeifend Luft in die brennende Kehle. Der Junge rutschte schreiend von ihr herunter, fasste nach dem Griff des Messers und versuchte, es herauszuziehen.
Steh auf . Der Nebel um ihren Verstand lichtete sich. Röchelnd rollte sie sich auf den Bauch – und entdeckte die Glock, keine zwanzig Zentimeter weit weg.
Sie schnappte sich die Waffe, wälzte sich auf den Rücken. Einen halben Meter von sich entfernt sah sie den Jungen knien. Nun hatte er ihr Messer, an dem sein Blut klebte, in der Hand, sein zorniger Blick kreuzte ihren, und er brüllte …
Da drückte sie ab.
Der Schuss krachte ohrenbetäubend, der Rückstoß war unerwartet stark. Auf der Brust des Jungen breitete sich ein großer roter Fleck aus, und warme Blutspritzer benetzten Alex’ Gesicht. Ohne ein Geräusch kippte der Junge nach hinten um.
Alex hatte nicht einmal die Zeit, um erleichtert aufzuatmen. Denn im nächsten Moment hörte sie das vertraute papierne Rascheln, sie wirbelte herum und sah den Fettwanst auf sie zukommen, den mit Toms Blut verschmierten Mund zu einem obszönen Grinsen verzogen, und dann ragte er über ihr auf, groß und abscheulich, nur eineinhalb Meter entfernt stand er da, direkt vor ihr!
Sie richtete die Waffe auf sein Gesicht und schoss.
36
T om hörte lange nicht auf zu bluten, der Blutstrom versiegte erst, nachdem sich ein zusammengeknülltes und sein eigenes Flanellhemd vollgesogen hatten. Dann wies er Alex an, den Bourbon zu nehmen. Sie wollte nicht so recht, denn sie wusste, dass der Alkohol höllisch brennen würde, tat es dann aber doch. Kaum traf der erste Tropfen auf das rohe Fleisch, verkrampfte sich Tom am ganzen Körper, die Sehnen an seinem Hals traten hervor wie Kabelstränge, und er entblößte mit verzerrtem Gesicht die Zähne.
»Es tut mir so leid«, beteuerte Alex hilflos. Ganz bestimmt wollte sie ihm nicht noch mehr Schmerzen zufügen. Der dunkle bernsteinfarbene Bourbon vermischte sich mit Toms Blut zu einer braunroten Brühe. Mit einem Streifen des zerrissenen Hemds wischte sie ihm den Schweiß von der Stirn.
»Schon okay«, sagte er mit vor Schmerz heiserer Stimme. Unter seiner gebrochenen Nase war eine dicke Kruste aus getrocknetem Blut, seine Augen traten hervor. »Du m-machst das gut.«
»Ich weiß gar nicht, was ich da mache«, erwiderte sie. Ihr war schlecht, jetzt nicht vor Hunger oder vor Schreck, sondern vor lähmender Angst. Die Wunde war tief, sie konnte Sehnen, den Muskel und sogar ein Stückchen Knochen sehen. Allerdings kam das austretende Blut
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