Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
dass bei ihr alles aussetzte.
»Du stehst wohl auf die harte Tour?« Seine Stimme war abgehackt, sein Gesicht rot angelaufen. »Das kannst du haben. Ich zeige dir, was ein Mann …«
Da hörte sie ein Krachen, Holz donnerte gegen Beton. In ihrer Todesangst dachte sie, dass sie wohl den Verstand verlor. Hatten sie nicht in Bio darüber gesprochen, dass der Verstand abschalten, sich an einen anderen Ort versetzen, sich verstecken konnte? Aber dann merkte sie, wie sich Cutter erstaunt aufbäumte, sah, wie sich seine Augen vor Schreck weiteten, und sie dachte: Tori.
»Mein Gott!« Cutter fuhr hoch. »N…«
Etwas – jemand – schoss über sie hinweg. Der schreiende Cutter landete auf dem Rücken, als der Angreifer, wer immer es auch war, mit dem Kopf zustieß wie eine Schlange, die nach der Beute schnappt. Dann hörte Sarah ein lautes Geräusch, als würde ein nasser Lappen zerrissen – und Cutter schlug um sich, lallte, versuchte, mit beiden Händen den roten Schwall zu stoppen, der stoßweise aus seinem offenen Hals spritzte. Sein Blut landete klatschend auf dem Beton. Der Veränderte – ein Junge – saß rittlings auf ihm, aber nur für eine Sekunde.
Was als Nächstes geschah, raubte ihr dann tatsächlich fast den Verstand.
Eine Hand auf Cutters Stirn gepresst, grub der Veränderte die andere tief in dessen Hals. Zwar konnte Sarah Cutters Gesicht nicht sehen, aber die Beine des Alten wurden steif, seine Füße zuckten, als säße er auf dem elektrischen Stuhl. Der Junge drückte den Rücken durch, und dann folgte wieder das Geräusch zerreißender nasser Wäsche. Cutter zitterte immer noch in seinem Totentanz, als der Veränderte seine Zähne in einen schlaffen roten Schlauch aus dampfendem Fleisch grub.
Da begann Sarah zu schreien.
44
Greg lenkte sein Pferd zum Gemeindehaus, einem plumpen zweigeschossigen Gebäude aus Sandstein, das von einem Glockenturm gekrönt wurde, und stieg ab. Nachdem er seine Stute an das schmiedeeiserne Geländer gebunden hatte, machte er einen an seinen Sattel geknoteten marineblauen Kopfkissenbezug los. Der Inhalt klimperte, Glas an Glas, als er sich den behelfsmäßigen Sack über die Schulter legte. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie den Rest des Hauses durchsucht und die Gläser eingepackt hatten, die, wie Verna mit immer noch blutender Nase versicherte, der letzte Rest ihrer Geheimvorräte gewesen seien. Bis sie gingen, hatte sich Chester nicht blicken lassen. Ebenso wenig die Katze.
Das kümmerte Greg dann aber auch nicht mehr. Seine einzige Sorge war, die Gläser loszuwerden, sie nicht mehr sehen zu müssen, und sich dann ein ruhiges Fleckchen zu suchen, wo er sich hinlegen konnte. Zum Teufel mit dem Essen. Er fuhr sich mit der Hand über die plötzlich tränenden Augen, ein stechender Schmerz in der Schläfe ließ ihn zusammenzucken. Wieder so eine Attacke, die sich zu einer Riesenmigräne auswachsen würde, zu Monsterkopfschmerzen, die Übelkeit verursachten und sein Sehvermögen mit wabernden Linien und zackigen Lichtscherben trübten. Kincaid meinte, das sei normal – er nannte es irgendwas mit Flimmerdingsda oder so – und gab ihm noch den Rat mit auf den Weg: Stress reduzieren, mein Junge, dann geht es dir vielleicht bald besser.
Na, sicher. Die Ereignisse bei den Landrys gingen ihm eben nur ein bisschen zu nahe, um abschalten zu können. Egal, was Tori sagte – klar, sie zu küssen war das Beste, was ihm seit Monaten passiert war –, er wusste selbst, dass das alles Blödsinn war. Vielleicht glaubt sie an mich, aber ich tu das ganz bestimmt nicht. Das Fiasko gerade eben hatte doch nur bewiesen, dass er Chris und Peter nicht das Wasser reichen konnte. Es hatte keinen Sinn, so zu tun, als könnte er einen von beiden ersetzen, ganz gleich, was der Rat sagte oder wollte. Wenn Aidan rebelliert oder Pru sich auf Jarvis’ Seite geschlagen oder Jarvis geschossen hätte, was dann? Hätte er Jarvis töten sollen? Oder jemand anderen, der nicht gehorchte? Oder fünfe gerade sein lassen und wegsehen, während die Jungs die Gläser öffneten und das Beweismaterial vertilgten? Zum Teufel, womöglich hätte er selbst sogar mitgemampft.
Ich kann mir nicht mal selbst trauen. Morgen muss ich zum Rat gehen und ihnen sagen, dass sie sich jemand anderen suchen sollen. Pru zum Beispiel. Er ist älter, und er überlegt sich alles gründlicher als ich.
Und was konnte der Rat schon dagegen tun? Ihn ins Büro des Direktors schicken? Ihn verbannen? Er grinste säuerlich.
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