Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
bei einem anderen Hundeführer, aber er wird abgezogen, und ich kenne sie, also …«
Das ist keine Sie. Ich bin eine Sie. Das würde Ellie gerne sagen. Es ist ein dummer Hund. Sie fühlt sich, als hätten ihr Dad und Opa Jack beschlossen, dass auch sie so etwas wie diese Mina ist. Und jetzt ist es Zeit, dass Ellie zu einem anderen Kinderführer wechselt.
»Wann?« Das will sie eigentlich gar nicht sagen, aber streiten bringt auch nichts. Sie sieht von ihm zu seinem Spiegelzwilling im Wasser. »Was soll’s. Egal.«
»In zwei Wochen.« Der Zwilling im Wasser wirft ihr einen Blick zu. »Ich muss noch ein paar Sachen regeln, aber wir können …« Seine Stimme verhallt. Doch sie kann sich sowieso nichts vorstellen, womit er es weniger schlimm machen könnte.
Sie sagt nicht: Okay . Oder: Ich hasse dich. Oder: Jedes Mal, wenn du gehst, ist es, als würdest du sterben, und ich habe solche Angst, dass ich auch sterbe. Außerdem ist eins davon eine Lüge. Jetzt interessieren die Seetaucher sie nicht mehr. Stattdessen starrt sie das kleine Wassermädchen an, gefangen neben dem Wasservater, der sagt …
»… lange noch?«
»Häh?« Ellie blinzelte die Erinnerung an diesen Junimorgen weg und landete im Hier und Jetzt im März. Hohe Wolken türmten sich am weißen Nachmittagshimmel. Als sie von dem schwarzblauen Loch im Eis aufblickte, musste sie mit der Hand die Augen gegen das grelle Licht abschirmen. »Was hast du gesagt?«
»Ich habe gefragt, wie lange noch?« An Elis langen Wimpern hatte sich Reif festgesetzt. Eiskristalle hingen in seinem Schal und baumelten von seiner ausgefransten Rollmütze wie Christbaumschmuck. Seine Wangen waren purpurrot. Das Gewehr an sich gedrückt, stampfte er mit den Füßen auf und zitterte übertrieben. »Ich friere. Wie hältst du das bloß aus?« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Angelrute in ihrer nackten rechten Hand. »Mir würden die Finger abfallen.«
»Das kommt davon, dass du dich nicht bewegst«, erwiderte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Rute, schwang sie sanft auf und ab, auf und ab, und ließ den Köder hüpfen. Ehrlich gesagt war ihre Hand eiskalt, und ihre Nägel färbten sich langsam blau. Die wenigen Male, die sie mit Opa Jack beim Eisfischen gewesen war, hatte er immer ein Feuer am Ufer entfacht, wo sie sich mit heißem Kakao, verkohlten Bratwürsten und rußschwarzen Hotdogs aufwärmen konnte. Bei der Erinnerung lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Für einen Hotdog würde sie morden. Mit Senf und Gewürzsauce. Gegrillten Zwiebeln.
»Alles klar?« Eli zog seine schmalen, honigfarbenen Augenbrauen zusammen.
»Ja.« Sie unterdrückte ein Seufzen. Ein Satz, den ihr Großvater oft gesagt hatte, kam ihr in den Sinn: Wenn Wünsche Fische wären … Es war nicht gut, sich in diesen Tagen etwas zu wünschen. Da bekam man nur Depressionen oder flennte oder beides, und sie wollte verdammt sein, wenn sie vor Eli weinte. Er war süß, und obwohl er schon zwölf war, hingen sie zusammen rum. (Jayden hatte ihnen den Spitznamen »die Super-E’s« verpasst.) Aber Eli konnte sich auch ganz schön blöd anstellen. Manchmal dachte sie, sie müsste auf ihn aufpassen und nicht umgekehrt. Sie zeigte mit dem Kopf zu zwei Löchern im Eis, wo sie Hegenen, Schnüre mit mehreren Abzweigungen, ausgelegt hatte. »Könntest du die wieder einholen? Ich muss mich um die Eisangeln kümmern, und weil ich von denen schon um die fünfzehn hab …«
»Ich?« Eli war nicht scharf auf schleimige Fische, und Ellie hatte einen sehr erfolgreichen Nachmittag gehabt: vierzehn Barsche, alle etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang. »Also …«, begann Eli und drehte sich zum Ufer, wo ihre geduldigen Pferde unter den herabhängenden Ästen hoher Hemlocktannen warteten. In der Nähe hüpfte ein Krähenschwarm durch den Schnee, vielleicht hofften die Vögel ja auf ein paar dampfende Fischeingeweide, und eine einzelne, streng dreinblickende Möwe hatte sich auf einem vereisten Felsbrocken niedergelassen. »Ich schätze, ich halt’s noch eine Weile aus. Du wirst Hilfe mit dem Bohrer brauchen.«
Genau, und dann darf ich sämtliche Fische und dazu noch das Angelgerät tragen. Andererseits wusste sie, dass es Eli vor allem darum ging, die Ausrüstung nicht aufräumen zu müssen.
Das heißt, eigentlich wollte er den Ort meiden, wo sie die Ausrüstung aufbewahrten. Selbst die Pferde hassten diesen Teil des Waldes. Ellie war auch nicht wild darauf, aber zumindest war sie kein
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