Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
explosionsartige Schmerz in ihrem Kopf blieb aus. Das ist es also nicht. Die Augen weit aufgerissen, legte sie den Kopf in den Nacken und sah den davonschwirrenden Krähen nach. Aber was dann? Was könnte …?
Neben ihr begann Mina zu knurren, erst tief und kehlig, dann immer lauter.
»O …«, hauchte sie. Das »Nein« blieb ihr im Halse stecken. Ihr Herz pochte wie wild, ihr Blick löste sich vom Himmel mit den verstummten Vögeln und glitt über die Schneefläche zum Wald. O Mann, jetzt bin ich geliefert.
Denn dort auf der Lichtung, wo der Weg abzweigte, der sie und Chris vom Totenhaus in die Sicherheit führen sollte, stand ein Mädchen.
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Die beiden Messer waren ein echtes Problem. Die Glock in seiner Hand ließ sich nicht abfeuern und die Eagle auch nicht. An seine Bravo kam er nicht so ohne Weiteres heran. Tom dachte an das silbrige Glitzern zwischen den Bäumen und fragte sich, wie viele andere Chuckies noch dort draußen mit gezückten Messern lauerten – und worauf sie eigentlich warteten. Es sei denn, das war ihre ganz spezielle Methode: immer einen Angreifer nach dem anderen hinschicken, bis der Gegner ermüdete, und dann gemeinsam ausschwärmen, um ihn zu töten. Wie Wölfe.
Zum ersten Mal ging ihm jetzt auch der Gedanke durch den Kopf, dass dieses Mädchen schon eine ganze Weile gewartet und ihn beobachtet haben musste. Wie lange hatte er sich hier auf diesem Schneefeld, gut sichtbar und ungeschützt, aufgehalten? Eine halbe Stunde mindestens – und einen Großteil der Zeit war er ziemlich weggetreten, völlig in Anspruch genommen von inneren Bildern, Flashbacks und einer manischen Angst, die schon an Wahnsinn grenzte, weswegen es klüger und einfacher gewesen wäre, ihn gleich an Ort und Stelle zu erledigen.
Aber sie will den Kampf. Chucky war nun wieder auf den Füßen, und es war beunruhigend, wie schnell sie sich erholte! Die Angst quetschte ihm mit eiserner Faust die Kehle zu. Sie wollte ihn nicht einfach nur umbringen. Obwohl sie Messer besaß, hatte sie sie nicht von Anfang an gegen ihn eingesetzt. Eigentlich müsste er längst tot sein. Und wenn er es sich recht überlegte, konnte sie vermutlich auch mit einem Gewehr oder einer Pistole umgehen. Aber dieses Mädchen suchte den Nervenkitzel, wollte Spaß beim Töten. Blut sehen.
Außerdem stimmt etwas nicht mit ihr, sie ist anders . Eine Untertreibung angesichts der Tatsache, dass sie schließlich eine Chucky war. Aber irgendwas ist mit ihren Augen, sie sind … zu dunkel. Allerdings stand sie zu weit weg, als dass er es mit Bestimmtheit sagen konnte, und das war ihm auch ganz recht so.
Vergiss das Gesicht. Konzentrier dich auf die Messer. Tom beobachtete, wie sie ihn in gebückter Haltung zu umkreisen begann, sich vorsichtig von links nach rechts bewegte – Himmel, sie sank ja kaum in den Schnee ein! Tom verlagerte das Gewicht, drehte sich mit, um sie im Auge zu behalten, und spürte, wie die Steine unter seinen Stiefeln wegrutschten. Bestürzt stellte er fest, dass sie seine längere Armreichweite wettzumachen versuchte, indem sie auf seine unbewaffnete Hand zusteuerte. Er wusste nicht, was für Messer sie da hatte, aber sie sahen tückisch aus: schmaler, silberfarbener Stahl, einschneidig und mit einer leichten Krümmung. Echte Kampfmesser, zum Abschlachten und Aufschlitzen wie geschaffen. Die Klingen waren unablässig in Bewegung, schnitten wie Sensen durch die Luft, funkelten in der Abendsonne, und Tom fiel es schwer, beide im Auge zu behalten. Mit zunehmend schlechterem Licht würde das noch schwieriger werden, vorausgesetzt, er hielt überhaupt so lange durch. Denn so wie es aussah, könnte es ziemlich schnell mit ihm zu Ende gehen. Dafür brauchte sie nicht einmal einen tödlichen Treffer zu landen. Es genügte, wenn sie ihm ein paar Schnittwunden zufügte, dann auf Abstand blieb und wartete, bis er ausreichend geschwächt oder verblutet war.
Jeder Soldat war im Nahkampf trainiert, wusste, wie man zupackte und tötete, und der Kampf mit aufgesetztem Bajonett gehörte zur Grundausbildung. In der Realität lief es aber viel schlichter ab: Da überlebte einfach derjenige, der den Angreifer so lange hinhalten konnte, bis seine Kameraden mit den Schusswaffen kamen. Im Unterschied zu Spezialeinheiten und verdeckt operierenden Streitkräften, die alle explizit für den Nahkampf ausgebildet waren, kannte Tom nur die Grundlagen: auf Körperdeckung achten, Hals und Gesicht verteidigen, mit der linken Hand und dem linken Oberarm
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