Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
unorganisiert, verrückt und planlos. Nicht einmal sein Freund Jim war mehr als ein tollwütiges Tier gewesen. Aber dieses Mädchen war offenbar etwas ganz Neues und Anderes: nahezu immun gegen Schmerz, tollkühn und furchtlos. Intelligent. Eine Killermaschine. Und ich habe so etwas schon mal gesehen – aber wo?
Sie zog …
Und mit Grauen sah Tom: Das Kampfmesser bewegte sich.
33
Ellie konnte sich nicht rühren. Alles in ihr erstarrte, nur ihre Knie begannen zu zittern. Als sie schluckte, hörte sie es laut in ihrer Kehle knacken. Mein Gewehr, wo ist es? Sie wagte nicht, die Augen von diesem Mädchen abzuwenden, aber sie konnte sich auch nicht erinnern, dass sie die Savage mitgenommen hatte, als sie zu Bella gelaufen war. Das heißt, sie ist hinter mir, noch im Totenhaus.
Das Mädchen beobachtete sie nur, was gut war, denn das verschaffte Ellie eine kleine Verschnaufpause. Sofern nicht noch mehr da sind und uns umzingeln. Während Mina laut knurrend die Zähne fletschte, wagte es Ellie, einen Blick auf die Hündin zu werfen. Minas gesamte Aufmerksamkeit war auf das Mädchen gerichtet. Also gab es entweder nur diese eine Menschenfresserin, oder die anderen waren so weit weg, dass Mina sie nicht sehen oder riechen konnte. Bella wiederum blähte die Nüstern und warf den Kopf zurück, als sie die Menschenfresserin witterte. Nein, nein, geh mir jetzt bloß nicht durch, du dummes Pferd; warte einfach, ja?
Wer hingegen eindeutig wartete, war dieses Mädchen. Das spürte Ellie, auch wenn sie nicht wusste, worauf. Ihr Blick wanderte zu dem zotteligen verfilzten Haar des Mädchens, dessen gefrorene Strähnen unter einer einstmals cremefarbenen, inzwischen aber schmutzig grauen Rollmütze hervorbaumelten. Welche Farbe der schmuddelige Parka einmal gehabt hatte, konnte Ellie nicht sagen, doch um den Hals der Menschenfresserin ringelte sich schlangenartig ein Schal von blassem Lindgrün.
Dieser Schal … Ellie dachte an den Moment am See zurück, als all die Krähen weggeflogen waren. Der herunterrieselnde Schnee, die schwankende Kiefer, aufblitzendes Hellgrün … ich dachte, es wären Tannenzweige … War das Mädchen dort gewesen? Und hatte es sie seitdem verfolgt, immer mit dem Wind, um nicht von Mina bemerkt zu werden? Schlau . Doch warum zeigte sie sich jetzt? Warum wartete sie nicht noch ein bisschen länger?
Vielleicht weil sie weiß, dass dies ihre letzte Chance ist . Das schmale Gesicht des Mädchens sah mager und ausgezehrt aus, die Wangen waren eingesunken, die Augen lagen tief in den Höhlen. Sie ist am Verhungern, sie hält es einfach nicht mehr länger aus.
Allerdings benahm sich das Mädchen eigenartig. Sonst gingen die Menschenfresser mit Messern und Schusswaffen oder auch mit Zähnen und Klauen auf einen los. Sie machten alles Mögliche: legten Hinterhalte, kamen im Sturmangriff aus den Wäldern gerannt. Manchmal zeigten sie sich auch erst, wenn sie einen umzingelt hatten – das war Eli und seiner Schwester passiert –, aber dieses Mädchen war allein und guckte nur.
Im Schnee zu Ellies Füßen stöhnte Chris.
Ich muss hier weg. Was stehe ich denn noch hier rum? Sie keuchte, in ihrem Kopf kreischte es: Lauf lauf lauf zum Totenhaus, versperr die Tür, damit sie nicht reinkann! Das könnte sie machen, zusammen mit Mina – aber was ist mit Bella, was ist mit Bella, wird die ihr was antun? – sich nach drinnen flüchten, das Gewehr im Anschlag halten und warten, warten, warten, wie ein Häschen in der Grube, bis Eli und Jayden sie fanden. Aber Chris, was war mit Chris? Sie wird ihn töten, sie frisst ihn und …
Das kannst du nicht zulassen . Es war die leise Stimme aus dem Hinterstübchen. Denk nach, Ellie, denk nach. Sie sieht dich nur an, sie bewegt sich nicht.
»Weil sie auf die anderen wartet.« Ihre Stimme klang dünn und gepresst. Auf der Achterbahn ihrer Gefühle ging es steil bergauf in Richtung Hysterie. Und wenn sie erst dort oben angekommen war, würde sie geradewegs ins Tal der Höllenangst hinunterrasen. Auf der anderen Seite der Lichtung legte das Mädchen jetzt den Kopf schräg, als lauschte sie dem Klang von Ellies Stimme, so wie Mina es tat, wenn sie verwirrt war. »Sie weiß, dass sie allein nicht an Mina vorbeikommt.«
Atme ruhiger, tiefer. Hör auf deine eigenen Worte. Wenn es stimmt, bleibt dir ja noch Zeit.
»Und wenn nicht?«
Mina wird dich beschützen. Die Hinterstübchen-Stimme klang sehr geduldig, wie Opa Jack, als er sagte, dass es im Leben nicht gerecht zugehe,
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