Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
nur von Angst.«
»Oder du bist tot.«
»Oder träumst«, sagte Tom. »Genauso schlimm. Die Träume … beherrschen einen, wie die Flashbacks, bis man sich wie in einer Flasche vorkommt, wo es keinen Ausweg gibt, und Träume und die Wirklichkeit … das alles vermischt sich. Deshalb haben die Seelenklempner … jede Menge Pillen parat.« Er gab ein schwaches, krächzendes Lachen von sich. » › Schadensbegrenzung ‹ , sozusagen. Sorg dafür, dass die Jungs, die am schlimmsten dran sind, in Frontnähe bleiben, lass sie ausruhen und gib ihnen was Anständiges zu futtern, aber stopf sie auch mit allen möglichen Pillen voll. Also schluckst du brav, was die Seelenklempner verteilen, und dazu auch noch anderes Zeug.«
»Vom Schwarzmarkt?«
»Ja, zum Teil. Aber wenn du zu viel erwischst oder die falsche Sorte …«
»Wirst du verrückt.«
»Schlimmer.« Die Ringe unter Toms gequälten Augen waren dunkel wie Blutergüsse. »Man kann dich nicht aufhalten. Du machst immer weiter in dieser … dieser Raserei. Und das Mädchen … ihre Augen. Blutaugen …«
»Was?«, entgegnete Weller scharf. »Du meinst blutunterlaufen, oder? Wie nach einem schlimmen Kater?«
»Nein.« Toms Kopf zitterte, und seine Stimme schwand dahin wie ein Rinnsal, das den Gully hinunterläuft. »Nein, nein, nein … kein Weiß. Nur rot und schwarz.«
Du wahnsinniger Dreckskerl, du hast es diesmal wirklich gemacht. »Das hab ich schon mal gesehen«, sagte Weller. »In Vietnam haben wir sie Berserker genannt.«
»Ach ja?« Toms Lippen verzogen sich in einer undeutbaren Grimasse. Die Augen fielen ihm zu. »Wir nicht.«
»Nicht?« Weller wartete, merkte, dass Toms Atem ruhiger wurde. »Tom?«
Der Junge antwortete nicht. Die tiefen Sorgenfalten waren immer noch da, aber sein Körper hatte sich im Schlaf entspannt. Das war gut so. Inzwischen wusste Weller mehr als genug und hatte begriffen, dass die Schwierigkeiten jetzt womöglich erst richtig anfingen. Wenn man die Chuckies tatsächlich manipulieren konnte, wenn das ging, dann wusste er genau, wer verrückt genug, wer schlau genug war, es zu tun. Die Welt war vor fast fünf Monaten den Bach runtergegangen. Genügend Zeit, vor allem wenn man gut ausgerüstet war, Organisationstalent und Experimentierfreude besaß und auch mental darauf vorbereitet war. Bei Gott, dieser Kerl hatte seine Rachegelüste lang genug am Leben erhalten.
Was zum Teufel soll ich jetzt machen? Weller fuhr sich über die Stirn und wunderte sich nicht, dass an seiner Handfläche danach säuerlicher Schweiß klebte. Diese ganze hässliche Geschichte war außer Kontrolle geraten. Es war etwas daraus geworden, was er nicht wiedererkannte. Er hätte verschwinden sollen, als das Bergwerk hochging. Einfach sein Zeug packen und nichts wie weg. Bei Gott, hatte er Mandy nicht längst gerächt? Peter war tot, und Rule würde sich nicht mehr lange halten, zumal deren kostbare kleine Chuckies inzwischen auf dem Heimweg waren. Sollte ihm das nicht reichen? Es gab die Rache, und dann gab es … das Ende aller Tage. Die Offenbarung. Und dabei glaube ich nicht mal an den Mist.
Sollte er dagegen kämpfen? Etwas unternehmen? War es nicht sogar seine Pflicht? Klar, er konnte es riskieren, von Soldat zu Soldat, und Tom sagen, was er wusste. Aber Mellie hatte recht. Tom stand auf der Kippe, schon eine ganze Weile, und man konnte nicht vorhersagen, wie der Junge reagieren würde. Wenn er, Weller, bei dem Versuch, ihm reinen Wein einzuschenken, ums Leben kam, war niemandem geholfen. Und er war sich ja auch nicht wirklich sicher, wie die Lage hier insgesamt aussah und was sich da abspielte. Er hatte nur Mosaikteilchen, Vermutungen, einen Verdacht. Wäre es also nicht besser, jetzt auszusteigen, solange er noch die Chance dazu hatte? Sich irgendwo ein neues Leben aufzubauen, wo ihn niemand kannte, für die Zeit, die ihm noch blieb?
Aber da sind diese Kids, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben. Tom, der einen Kummer mit sich herumschleppt, den er eigentlich nicht kennen sollte. Wir haben sie in all das hineingezogen. Zweifellos sah Mellie auch die Kids als entbehrlich an. Aber Weller wusste einfach nicht, was er machen sollte, was am ungefährlichsten war und welches das geringere Übel …
Plötzlich holte Tom tief Luft, als hätte er im hintersten Winkel seines Bewusstseins etwas gefunden und ans Licht gezerrt. Als Weller sich umdrehte, hatte Tom die Augen wieder geöffnet, und sie waren so klar, dass es ihm vorkam, als blickte er
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