Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
waren es noch drei: Marley, der schlaksige Kerl mit den Dreadlocks, und zwei Jungs, vielleicht Zehntklässler, offensichtlich Brüder. Die gleiche Knollennase, die gleichen Schweinsäuglein. Ihr Haar war dunkelbraun, vielleicht auch schwarz, und jeder von ihnen richtete ein Bushmaster-Sturmgewehr auf sie. Der größere war ein nervöser, zappeliger Typ; der perlende Minzgeruch seiner Angst strömte ihm aus allen Poren. Sein Bruder hingegen war rundlicher, kleiner, ruhiger. Ernie und Bert, dachte sie.
Wolf war inzwischen wieder auf die Beine gekommen. Sein Gesichtsausdruck – der von Chris in einem anderen Leben – war angespannt und konzentriert, aber er gab nicht das Raubtierknurren von sich, wie er es sonst tat, bevor er sich auf seine nächste Beute stürzte. Eine Sekunde später bemerkte sie dann auch den verräterischen Harzgeruch, wie knisternder Kien in einem zu heißen Feuer. Etwas Schweres, Drückendes lag in der Luft, als die Veränderten sich in ihrem seltsamen, unbegreiflichen Kauderwelsch verständigten. Das Monster in Alex’ Hirn regte sich, reckte witternd die Nase, als wollte es an dem Gespräch teilnehmen. Oder sie wieder in Wolfs Kopf katapultieren, so wie damals in dem Schacht, als das Bergwerk einstürzte.
O nein, das tust du nicht. In ihrem Mund war ein Prickeln, als würde ihr eine emsige kleine Spinne über die Zunge krabbeln. Hatte Wolf sie womöglich geküsst? Nein, nein, das war ein Traum. Oder war es vielleicht das, was Wolf wollte: er und sie, ein Paar? Ihre Selbstbeherrschung geriet unter einem Ansturm von Hysterie ins Wanken. Das ist nicht passiert. Du wolltest ihn nicht, auf keinen Fall. Es war das Monster, das Monster ist an allem schuld. Streckte es die Hand nach seinen Artgenossen aus, so wie in dem Moment, als sie unter dem Schnee beinahe erstickt wäre? Sie erinnerte sich an den bizarren Augenblick, als ihr Bewusstsein wegdriftete, sich zurückzog, und wie sie dann auf ein Schneefeld, geknickte Bäume und zerborstene Felsen geblickt hatte …
Und auf einen Skistock. Mein Gott, das war nicht das helle Licht am Ende des Tunnels! Ich war wieder in Wolfs Kopf. Als die Lawine niedergegangen war, hat er nach mir gesucht, wollte rausfinden, wo ich unter dem Schnee begraben lag …
Nur so ließ sich erklären, warum sie überhaupt noch lebte. Als sie zum letzten Mal ohnmächtig geworden war, war nur wenige Minuten vor ihrem drohenden Tod das Monster entwischt, hatte seine schwarzen Fangarme ausgestreckt. Denn Gleich und Gleich gesellt sich gern.
»Was willst du von mir?« Ihre Stimme bebte. Leopards Messer bebte, und sie umfasste es mit beiden Händen, um es ruhig zu halten. Geduckt stand sie da, fror, zitterte unkontrollierbar. Ihr Haar hing in eisigen Klumpen herab, ihr Parka aber war … trocken? Wie konnte das sein? Ihre Kleider waren noch nass. Moment mal. Ihr stockte der Atem. Mein Parka war klitschnass. Wie kann er …
Ihr Blick wanderte zu ihrem rechten Arm, und sofort wurde ihr klar, warum »ihr« Parka trocken war. Er hatte die falsche Farbe, metallgrau, und war auch zu groß, der Ärmel hing ihr locker ums Handgelenk, und er schlackerte um ihre Brust; offenbar war er für jemand Größeren und Kräftigeren gedacht. Irgendwie erinnerte sie der Parka an Toms Rollkragenpullover, den er ihr im Waucamaw gegeben hatte, nachdem er sie, blutend, bewusstlos und völlig durchnässt, zu seinem Zelt zurückgetragen und ihr die nassen Sachen ausgezogen hatte, damit sie wieder warm wurde.
Ihr Blick schoss zu Wolf, der nach Schweiß, gekochten Waschbäreingeweiden und feuchtem Eisen stank. Sein halbes Gesicht war blutverkrustet. Der Stein … sie erinnerte sich, dass er getroffen worden war. Jetzt fiel ihr auch auf, dass er nur einen dicken Wollpullover trug, über den er ein Wolfsfell gebunden hatte. Die bernsteinfarbenen Streifen darin verrieten ihr, dass es neu war, ein Ersatz für das Fell, das Leopard gestohlen hatte, als Spinne die Führung des Rudels übernahm.
Und da begriff sie: Wolf hatte ihr seinen Parka gegeben. Ihr schmutziger weißer Anorak war zum Trocknen über die Steine am Feuer gebreitet.
Erst später konnte sie ermessen, was für ein hohes Risiko Wolf einging. Es war helllichter Tag, als sie wieder zum Leben erwacht war. Nach dem kräftigen, durch die Bäume einfallenden Sonnenlicht zu urteilen, war es später Vormittag, vielleicht bald Mittag, trotzdem waren die Veränderten noch auf den Beinen. Allein schon die Tatsache, dass Wolf und seine Leute
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