Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
empor, und sie spürte, wie sich ihr Rücken durchbog, ihr Herz hämmerte, und dann sein Gewicht auf ihrem Körper, ihre Arme, die sich um seinen Nacken schlangen, seine Hände in ihrem Haar, auf ihrem Gesicht, und sie stöhnte in seinen Mund – ja, ja, ja, ja – , während Toms Finger über die empfindliche Haut an ihrem Hals strichen, über ihr Schlüsselbein und dann ein wenig tiefer glitten …
Und da spürte sie ein seltsames Zerren.
Tom zog … an einem Reißverschluss? Ja, das war’s, und es war in Ordnung, es war gut; sie wollte das, wollte ihn; ihr war so heiß, sie brannte geradezu. Dennoch fror sie – merkwürdig, wie kam das?
Plötzlich löste sich alles – die Empfindungen, die Gedanken – auf wie eine langsame Überblendung in einem Film. Jetzt spürte sie andere Hände, einen anderen Körper auf ihrem. Das Aroma von Holzrauch und Moschus wich dem von Schatten und süßen Äpfeln – Chris, das ist Chris –, als sein Mund den ihren fand. Es war elektrisierend, genau wie an jenem Morgen vor Monaten in Rule, als sie und Chris sich im Schlitten geküsst hatten: Nebel und Dunkelheit und aufflammendes Verlangen, als sich ihre Hände und ihre Körper berührten.
Aber etwas stimmte nicht. Da gab es irgendeinen Haken, sie stolperte förmlich über ein Detail, das nicht hierhergehörte. Und dann hatte sie es: Es war der Geruch, nicht mehr nach Nebel und Äpfeln, sondern faulig, verdorben. Schleimiger, grüner Eiter triefte ihr in den Mund. Hey. Sie würgte, zuckte zusammen, in ihrer Kehle arbeitete es, Schleim glitt durch ihren Hals, und jetzt bekam sie keine Luft mehr, keine Luft, keine …
»Bah!« Keuchend kam sie zu sich, ihr Bewusstsein ballte sich zusammen, zog sie aus dem Traum heraus, sie erwachte.
Da war Wolf, umgeben von einem Lichthof vor einem strahlend blauen Himmel. Er lag nicht auf ihr. Seine Hände berührten weder ihre Wangen noch ihr Kinn, und schon gar nicht presste er seinen Mund auf ihren. Allerdings lag sie wirklich flach auf dem Rücken, nicht im Schnee, sondern auf einem Schlafsack, und seine Finger machten sich an einem Stückchen Stoff zu schaffen, das sich im Reißverschluss verfangen hatte. Er versuchte tatsächlich, sie auszuziehen.
»Nein!« Jäh zuckte sie zurück. Sie wollte nach ihm schlagen, aber ihre Arme waren schwer wie Blei, ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Es war wie mit Leopard im Bergwerk, als er hinter ihr her war und … Moment. Das Messer. Ich habe Leopards Messer … Hoch, hoch mit dir! Abrupt setzte sie sich auf. Darauf war Wolf nicht gefasst, er plumpste rückwärts in den Schnee, gefährlich nah neben einem kleinen, knisternden Feuer. Ihr Herz pochte wild, während sie mit klammen Fingern an ihrem rechten Bein nach der Messerscheide tastete.
Da stieß jemand seine Hand gegen ihre rechte Schulter und warf sie auf den Rücken. Sie schlug um sich, hob beide Arme, bis Pickel – der einstige Ben Stiemke – sie an den Handgelenken packte. Mit einer Wucht, die ihr die Luft aus der Lunge presste, ließ er sich auf sie fallen. Hätte sie nachgedacht, dann hätte sie sich gedreht und ihn gebissen oder die Knie angezogen, aber in ihrer Panik bäumte sie sich nur auf, reckte den Hals und schnappte nach ihm. Er wich ein bisschen zu weit zurück, was auch nicht schlecht war. Der Druck auf ihrer Brust ließ nach, und er geriet aus dem Gleichgewicht – so eine Chance würde sie nicht noch mal bekommen. Mit einem Aufschrei rammte sie ihr Knie in seinen Schritt.
Pickel gab einen abgehackten Laut von sich. Es war, als hätte sie auf den Notschalter gedrückt. Seine Augen wurden rund wie Scheinwerfer, sämtliches Blut wich aus seinem Gesicht. Er schien nicht einmal mehr zu atmen. Dann brach er zusammen, fiel auf die Seite, die Hände schützend um den Schritt gelegt, und aus seinem aufgerissenen Mund drang ein gruseliges, ersticktes Aaauuu.
Kaum lastete sein Gewicht nicht mehr auf ihren Beinen, warf sie ihn ganz ab. Unbeholfen wie ein Krebs kroch sie von dem Schlafsack herunter. Ihr Körper stand unter Strom, als wären alle Sicherungen eingeschaltet und wieder Saft im System. Undeutlich nahm sie wahr, wie Pistolen entsichert wurden, Metall gegen Metall rieb. In ihrer Angst hatte sie Wolf aus den Augen verloren, aber es kümmerte sie nicht. Kreischend rappelte sie sich auf, mit Leopards Messer in der Hand, und schrie durch ihre Angsttränen hindurch: »Geht weg, geht weg, geht weg!«
Abgesehen von Wolf und Pickel, der stöhnend und sabbernd im Schnee lag,
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