Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
in das reine, tiefe, kalte Blau des Lake Superior.
»Was?«, fragte Weller.
»Zombies«, sagte Tom mit deutlicher Stimme. »Wir haben sie Zombies genannt.«
Teil III
BRUCHSTELLE
39
In der ersten Märzwoche, zehn Tage nach der Lawine, stolperte Alex aus einer baufälligen Hütte an irgendeiner Feuerschneise westlich des Bergwerks und südwestlich von Rule. Wenigstens glaubte sie, es wäre Westsüdwest. Nach tagelanger Wanderung stand sie jetzt vor etlichen Problemen. Zum Beispiel etwas zu essen zu finden, bevor sie selbst gefressen wurde.
Sie hatte wieder Blut im Mund und eine große Beule am Hinterkopf. Über die Schwellung an der linken Wange, wo Pickels Schlag sie vor nicht allzu langer Zeit getroffen hatte, wusste sie auch ohne Spiegel Bescheid. Mein Gott, die Faust des Jungen hatte sich wie ein Rammbock angefühlt.
Sie wollte zum Schuppen – und diesem sonderbaren Hügel, den sie früher schon gesehen hatte –, aber auf halbem Weg dorthin stürzte oder stolperte sie, sie wusste es nicht genau. Wahrscheinlich war sie mit den Stiefeln im tiefen Schnee hängen geblieben. Als sie hinfiel, ließ sie sich einsinken, ja presste sich förmlich hinein, damit ihr die Kälte auf der Haut brannte und sich ihren sengenden Weg bis ins Hirn bahnte. Und hoffentlich das Monster zu Schlacke verbrannte.
Mein Gott, bitte. Bitte, hilf mir. Sie musste kämpfen. Darf nicht zerbrechen. Darf nicht aufgeben. Ich muss ich selber bleiben, ganz egal, was Wolf will oder denkt.
Sie begann Schwimmbewegungen zu machen, zog sich auf Händen und Knien vorwärts, grub einen Schneckenpfad in den Schnee, hin zu dem verfallenen Schuppen neben einem Vorhang aus rostigem Maschendraht, und bei jedem Atemzug fühlte sich ihre Luftröhre an, als wäre sie von Stacheldraht aufgeschlitzt worden. Hätte Pickel ein paar Sekunden länger zugedrückt, wäre ihr Kehlkopf gebrochen.
Endlich auf den Knien vor dem Hügel: Er war einen guten Meter hoch, mit vereinzelten Schneeresten darauf, und befand sich an der Südseite des Schuppens, wo es am hellsten und wärmsten war. Sie starrte den Hügel gute zehn Sekunden lang an, vielleicht waren es auch mehr. Von der schweren dunklen Erde ging ein lehmiges Aroma aus. Es roch ein bisschen wie abgestandenes Bier.
Da fiel ihr Blick auf etwas Kleines, Schwarzes, das über einen weißen Schneefleck huschte.
Nicht nachdenken, Alex. Wieder entdeckte sie einen winzigen schwarzen Krabbler. Kämpfen, du musst kämpfen. Tu es einfach.
Denn es stand schlimm um sie. Richtig, richtig schlimm.
Zehn Tage zuvor:
An das, was nach der Lawine passiert war, erinnerte sie sich nur vage, es war eine ruckelige, chaotische Collage, wie ein schlecht geschnittenes YouTube-Video. Am Anfang war da ein rhythmisches Wanken wie das Stampfen eines kleinen Schiffs bei Seegang. Ihre Brust war ganz heiß, ihre gequälte Lunge brannte wie Feuer, obwohl ihr Körper vor Kälte zitterte. Die meiste Zeit drehte sich alles rings um sie, durch das Auf und Ab, das ständigen Wackeln – und dann war sie wieder weggetreten, versank in den Tiefen der Bewusstlosigkeit. Das passierte ihr wohl mehrmals, als wäre sie ein Sehrohr, das immer wieder kurz auftaucht, um zu gucken.
Als sie allmählich wieder zu sich kam, bemerkte sie als Erstes eine Hand, die sich um ihren Hinterkopf wölbte. Sie fiel und sie landete auf … einem Bett? Einem Boot? Ihr Kopf war wie zugedröhnt, gleichzeitig schien er sich aufzublähen, das Monster reckte und streckte sich, als wären ihm Arme und Hände und Finger gewachsen, die jetzt suchend nach etwas – jemandem – tasteten. Alex hingegen lag ganz entspannt, ja beinahe friedlich da, was seltsam war in Anbetracht der Kälte und des stetigen Drucks auf ihrer Brust, wie der Absatz eines schweren Stiefels.
Dann strich etwas über ihre rechte Wange. Ein Handrücken – und waren das Finger? Ihr Kopf reckte sich nach einem Duftfähnchen, einem schwarzen Nebel mit etwas Süßem, Frischem … Chris? Oder, Moment mal, nein – das Aroma war tief und satt und rauchig. Tom. Es war wie ein Gedanke und dann ein Seufzer, weil sie sich in einem verträumten Wispern seinen Namen auf der Zunge zergehen ließ. »Tom. Tom?«
Im nächsten Augenblick fiel sie noch tiefer, verlor sich und zog ihn mit sich hinab, schmeckte ihn, warm, so warm. Toms Mund lag fordernd auf ihrem, sein Atem ein Seufzen auf ihrer Zunge, das Verlangen eine Rose, die sich heiß in ihrer Brust entfaltete. Eine seltsame, fließende Hitze raste an ihren Schenkeln
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