Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
sie mich nicht mal mehr erkennen.«
»Doch, das würde sie. Du gibst dein Bestes.«
»Und wenn es nicht mein Bestes ist?«
»Dann finde es raus«, sagte sie, und eh er sich’s versah, lag ihr Mund auf seinem.
Vor Verblüffung verschlug es ihm den Atem. Sein Herz hämmerte wie wild, und er fürchtete, ohnmächtig zu werden, so gut fühlte sich das an. Er wusste nicht, was er mit seinen Händen machen sollte, bekam keine Luft, konnte nicht mehr richtig denken. Schließlich atmeten sie gleichzeitig tief ein, und er sagte: »T-Tori …«
»Schsch«, sagte sie.
Also redeten sie eine Weile gar nicht, und das war schön. Es tat gut.
Wenigstens ein paar Augenblicke lang musste Greg nicht darüber nachdenken, was für ein schrecklicher Mensch er war, wenn er loszog und die arme alte Katze einer alten Oma tötete.
41
Eine Stunde später.
»Ruh dich aus«, flüsterte Tori und legte sanft die Hand auf Sarahs Schulter. »Ich halte Wache bei Caleb.«
»Nein, ist schon gut.« Sarah versuchte zu lächeln, aber ihre Muskeln waren wie eingefroren, ein Gefühl, das sie daran erinnerte, wie ihr Dad die Einfahrt reparierte und sie, Sarah, ausprobiert hatte, wie lange man mit dem Fuß im nassen Beton bleiben konnte. In einer Million Jahre würde ein Archäologe einen kleinen rosafarbenen Turnschuh finden und sich fragen, wo der Rest des Körpers geblieben war.
»Was ist so lustig?«
»Hm?« Sarah musste sich die Hand vors Gesicht halten. Ihre Lippen waren so starr, sie hätten einer Leiche Ehre gemacht. »Nichts. Ich hab mich nur an was erinnert.« Zu ihren Füßen winselte Jet. Der sonst so gelassene Hund kam nicht mehr zur Ruhe, seit Greg und Pru gegangen waren. »Es tut mir leid wegen vorhin, mit Greg. Das war nicht fair.«
»Nein, war’s nicht.« Tori legte dem kleinen Jungen ein feuchtes Tuch auf die Stirn. »Hör auf, dich selbst zu bemitleiden. Wir vermissen Peter auch. Und ich rechne immer noch damit, dass Chris jeden Moment zur Tür hereinspaziert.«
»Um uns zu retten?« Sie staunte, wie schnell die Verbitterung wieder da war. Wann war sie so boshaft geworden? All das Jammern und Wehklagen … Immer noch winselnd war Jet aufgestanden. Sie kraulte seine Ohren, um ihn – und sich – zu beruhigen. »Tut mir leid, das war gemein. Ich bin irgendwie völlig durcheinander, meine Gefühle fahren Achterbahn.«
»Du bist nicht die Einzige, der es schlecht geht. Greg gibt sich echt Mühe, und er hat auch Gefühle. Glaubst du etwa, dass ich wirklich immer so fröhlich und verständnisvoll bin? Meistens tu ich nur so. Sonst würde ich den halben Tag heulen und die restliche Zeit von Essen fantasieren, das ich nicht haben kann. In zwei Monaten werde ich achtzehn. Ich sollte mir Gedanken ums College machen, meiner Mom auf die Nerven gehen und mir den Kopf darüber zerbrechen, ob ich in meinem Abendkleid für den Abschlussball fett aussehe.« Tori lachte freudlos. »Ich wünschte, meine Mom könnte mich jetzt sehen. Sie hat mir immer in den Ohren gelegen, ich sollte abnehmen.«
»Hast du dann vorhin auch nur so getan als ob? Dass wir weggehen sollen, meine ich?«
»Nein. Wir sollten wirklich bald hier weg. Pru hat recht. Dieser allgemeine Unmut liegt regelrecht in der Luft. Die Nahrungsmittel waren so schnell weg, genauso die restlichen Vorräte. Wir haben zwar genügend Gewehre, aber keine Munition, und Wild, das wir jagen könnten, gibt es auch nicht mehr. Wir können von Glück reden, wenn der Rat nicht gelyncht wird. So langsam gerät die Lage außer Kontrolle …« Nach kurzem Zögern fügte Tori hinzu: »Ich habe doch vorhin erwähnt, dass ich die Tür zum Altarraum aufgeschlossen habe, weißt du noch? Was ich nicht gesagt habe, war … dass Cutter draußen vor der Tür gewartet hat, Stunden bevor seine Schicht anfing.«
»Wie bitte?« Von den beiden Wachmännern der Nachtschicht konnte sie den untersetzten alten Mann, der mit Lang und Weller nach Rule gekommen war, am wenigsten ausstehen. Die anderen Alten begnügten sich mit einem kurzen Blick, aber Cutter glotzte einen regelrecht an. »Warum hast du nichts gesagt?«
»Weil er ja eigentlich nichts getan hat. Er hat behauptet, er müsste die Tür kontrollieren. Du weißt ja, wie klein der Treppenabsatz ist …«
In der Tat. Die Treppe war schmal und nur dazu gedacht, dass der Chor in den Altarraum gelangen konnte. Der Treppenabsatz zwischen dem Untergeschoss und dem Altarraum war quadratisch und hatte gerade mal die Fläche von ein paar Fußmatten. »Hat
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