Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
er … du weißt schon …« Sie wollte nicht sagen: dich angefasst.
»Allerdings. Er kam praktisch aus der Tür geschossen und hat mich betatscht. Sein Gesicht wirkte irgendwie gefährlich … Als sollte ich lieber nicht riskieren, mich zu wehren oder zu schreien.«
»Glaubst du wirklich, er hätte dir etwas angetan?«
»Ich wollte es, ehrlich gesagt, nicht darauf ankommen lassen. Aber da sind ja noch die kleineren Kinder, und ich dachte plötzlich, na ja … lieber ich als eines von ihnen. Ist das nicht krank?«
»Das ist überhaupt nicht krank. Du hast die Kinder beschützt.« Sarah nahm Toris kalte Hände in die ihren. »Da ist doch noch was passiert. Das spüre ich. Was war?«
»Er sagte, wenn ich nicht wollte, dass Pru oder Greg Schwierigkeiten bekommen, müsste ich ein bisschen nett zu ihm sein. Also … hab ich ihn ausgiebig an mir herumfummeln lassen.« Als Sarah tief Luft holte, fügte Tori rasch hinzu: »Sag lieber nichts, okay? Ich fühle mich jetzt schon, als wäre ich durch ein Abwasserrohr gekrochen. Aber weißt du noch, wie Pru ihm diese Bohnen gegeben hat? Cutter hat mir die Dose angeboten, quasi als Bezahlung. Er sagte, dass er nicht erwartet, etwas gratis zu bekommen. Und dass … dass die Kinder vielleicht gern mehr zu essen hätten, ich müsste dann nur noch ein bisschen mehr tun. Und weißt du, was das Schrecklichste ist?« Tori senkte den Blick. »Eine Sekunde lang dachte ich … na gut.«
»Tori.« Sarah spürte, wie ihr die Säure aus dem leeren Magen hochkam. »Das meinst du doch nicht im Ernst?«
»Keine Ahnung.« Tori zuckte resigniert mit den Schultern. »Vielleicht schon. Die Kinder haben Hunger, und was ist, wenn Cutter droht, Greg etwas anzutun? Oder Pru? Es kann jeden von uns erwischen.«
»Pass auf, gehen wir das mal ganz in Ruhe an. Bis jetzt ist ja noch nichts passiert. Wir reden mit Greg und Pru. Überlegen uns was, okay? Also, ich hätte jetzt erst mal Lust auf einen Tee. Du auch?« Sarah stand so schnell auf, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Zittrig atmete sie ein und aus, ein und aus … »Möchtest du Kamille oder Kamille?«
»Kamille wäre super.« Tori brachte ein gequältes Lächeln zustande. »Hör mal, ich habe Daisy und Ghost bei den Mädchen gelassen. Würdest du Jet zu den Jungen bringen? Dieser Hund wird völlig verrückt, wenn du nicht in der Nähe bist.«
Nicht so verrückt, wie ich mich gerade fühle. »Klar.« Sie wandte sich zum Gehen, um Wasser zu holen, und Jet folgte ihr auf den Fuß. »Es wird alles gut, Tori.«
»Schön«, erwiderte Tori, »dass du so denkst.«
Mein Gott, die Vorstellung, dass ausgerechnet Cutter Tori anbaggerte … Sarah schauderte, als sie den überdachten Weg zwischen Schule und Kirche entlangging. Allein beim Gedanken daran würde sie sich am liebsten Bleichmittel ins Hirn schütten und die Spültaste drücken. Die Vorstellung, dass seine ekelhaften alten Hände sie berührten oder sein Mund …
»Igitt.« Eisige Luft streifte ihr Gesicht, als sie die Doppeltür aufstieß und in den westlichen Vorraum trat. Von hier gingen zwei Treppen ab. Hielt man sich links, hatte man die Wahl: entweder drei Stufen hinauf zu einer Garderobe oder zwölf Stufen hinunter ins Untergeschoss. Rechts hingegen gelangte man über eine steinerne Wendeltreppe in den Glockenturm.
Sie knipste ihre Taschenlampe an und nahm die linke Treppe. In der Kirche fühlte sie sich nicht wohl. Ob bei Tag oder Nacht, hier war es einfach immer unheimlich. Das ausschließlich aus hellem einheimischem Kalkstein errichtete Gebäude war wie ein schalldichter Eisklotz, in ewiges Halbdunkel gehüllt und bitterkalt. Sarah folgte dem Lichtkegel und stieg in die mitternächtliche Finsternis des fensterlosen Kellers hinab. Bei jedem Schritt knirschte Sand unter ihren Schuhen. Die eisige Luft brannte auf ihrer Haut. Ein riesiger Gemeinschaftsraum nahm den Großteil des Kellers ein, der durch die Kälte noch düsterer wirkte. Fröstelnd wandte sie sich nach links zur Küche, einem langen, schmalen, billig eingerichteten Raum. Die altmodischen Sperrholzschränke waren schmutzig gelb, Boden und Anrichten bestanden aus fleckigem Resopal. Zwar hatte die Großküchenspüle aus Edelstahl zwei Hähne, allerdings hatte Sarah nie erlebt, dass Wasser herauskam. Ihr Wasser gewannen sie aus Schnee, und dazu stand stets ein Aluminiumtopf mit einem Eisklumpen bereit.
Als sie ein Streichholz rausholte, hörte sie es: ein leises, aber deutliches Knirschen wie Sand unter einem
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