Ashford Park
glänzend um ein fein gemeißeltes Gesicht lag, einen Mund, der eine römische Göttin vor Neid hätte erblassen lassen, helle blaue Augen, grau getönt von der Palette des Fotografen. Sie hatte die Fotografie auf dem Kaminsims in ihrer kleinen Einzimmerwohnung stehen, der silberne Rahmen ein schreiender Gegensatz zu den feuchten Wänden, von denen die Farbe blätterte, ein Relikt aus einem Leben, das nun so fern schien wie das ‹Es war einmal› im Märchen.
Addie war gespannt, wie dieser lichte Liebreiz sich unter der heiß glühenden Sonne gehalten hatte. Es war sechs Jahre her, seit sie einander das letzte Mal gesehen hatten. Würde sie verändert aussehen? Runzlig, welk, braun verbrannt?
Es war unmöglich, sich Bea anders vorzustellen als so, wie sie gewesen war, im fransigen Charlestonkleid mit langer Zigarettenspitze in der Hand. Auch wenn sie sich noch so sehr bemühte, sie konnte Bea nicht auf einer Farm in Kenia sehen, konnte ihr Bild von ihr nicht mit Staub und Hitze, Khaki und Moskitonetzen in Einklang bringen. Das passte vielleicht zu anderen, aber nicht zu Bea. Beinahe ebenso schwer fiel es Addie, trotz der Briefe aus der Feder ihrer Cousine, zu glauben, dass Bea jetzt Mutter war, nicht von einem, sondern von zwei Kindern, kleinen Mädchen, wie sie geschrieben hatte. Marjorie und Anna.
Addie hatte Geschenke für die beiden in ihrem Schiffskoffer. Es waren französische Puppen mit Porzellangesichtern und Sägemehlarmen. Sie hatte sie in letzter Minute gekauft, die erstbesten mitgenommen, die sie fand, für den Fall, dass die Kinder echt waren und nicht Ausgeburten eines der ausgefallenen Späße ihrer Cousine. Mutterschaft und Bea passten nicht zusammen. Ähnlich wie Bea und Kenia.
Addie zupfte am Finger ihres Handschuhs. Sie sollte damit aufhören, sofort, bevor sie in Nairobi ankam. Es war unfair. Warum sollte Bea nicht eine wundervolle Mutter sein? Sie war doch der einsamen Cousine, Addie, eine wundervolle Gefährtin gewesen, die beste Ratgeberin und die beste Freundin. Manchmal gedankenlos, ja, aber stets liebevoll.
Menschen veränderten sich, sagte sich Addie. O ja. Sie veränderten sich, sie lernten und wuchsen, genau wie sie.
Vielleicht war Kenia genau das, was Bea gebraucht hatte, um das Beste in sich hervorzubringen, so wie Addie dazu die eigene Emanzipation gebraucht hatte. Vielleicht, sagte sich Addie hoffnungsvoll, war das alles zum Besten so. Sie konnten einander jetzt auf gleicher Stufe begegnen, jede glücklich mit ihrem Leben und sicher verankert in ihm, ohne Liebeswirrungen, ohne Groll und ohne Verpflichtung. Sie war nicht mehr das arme kleine bemitleidenswerte Mädchen aus Kindertagen.
Sie war sechsundzwanzig und stand auf eigenen Füßen. Seit fünf Jahren verdiente sie ihr eigenes Geld, sorgte für sich selbst und traf ihre eigenen Entscheidungen. Die Tage, als sie in Beas Haus gelebt hatte, immer in ihrem Schlepptau, waren vorbei, lange vorbei.
Wenn eins aus Beas Brief deutlich hervorging, so war es, dass Bea sie brauchte und nicht umgekehrt.
Addie zog den Brief aus ihrer Reisetasche. Er war verknittert und voller Flecken, unzählige Male gelesen.
Du musst kommen
, hatte sie geschrieben, ganz die alte Bea, als hätte nichts von dem, was sich vor ihrer Abreise ereignet hatte, eine Spur hinterlassen.
Ich bin absolut aufgeschmissen ohne Dich
.
Typisch Bea, dachte Addie. Nicht nur die ausladende Handschrift, sondern die Wörter selbst. Nichts war je schlicht das, was es war. Es war immer
absolut, schrecklich, wahnsinnig
.
Liebe
oder
Hass
. Bea machte keine halben Sachen. Wunderbar, wenn man geliebt, weniger vergnüglich, wenn man gehasst wurde. Addie hatte beides erfahren.
Wir würden uns alle unheimlich freuen, Dich zu sehen.
‹Wir›. Nicht Marjorie und Anna, die kannten sie ja gar nicht. Addie war Abend um Abend aufgeblieben und hatte dieses eine Wort so gedreht und gewendet wie ein Professor, der über einem Lyriktext sitzt. Wir. War das nur ein weiteres Beispiel für Beas Hang zur Übertreibung? Eine harmlos liebenswürdige Geste? Oder etwas anderes?
Abrupt stopfte Addie den Brief wieder in ihre Reisetasche. Es war, was es war, sie würde schon sehen. Und dann würde sie zu David zurückkehren, der glaubte, sie zu lieben, und es vielleicht sogar tat. In dieser Beziehung schien er sich sehr sicher zu sein.
War er sicher genug für sie beide?
Ja, sagte sie sich. Ja. David gehörte zu ihrem neuen Leben, dem Leben, das sie sich selbst aufgebaut hatte, Stein um Stein
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