Ashford Park
«Rom.»
London, 1921
W ann wolltest du es mir sagen? Oder hattest du das gar nicht vor?»
Ein Herr, hatte Hodges gesagt. Ein Herr, der sie sprechen wollte. Bea schloss die Augen, als plötzliches Schwindelgefühl sie erfasste. Sie hätte Hodges sagen sollen, dass sie für ihn nicht zu sprechen sei. Aber das hätte bei den Dienstboten Tratsch gegeben, und den konnte sie jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Man konnte nicht die Tür verriegeln, ohne Fragen nach dem Grund dafür herauszufordern.
Sie hätte nie geglaubt, dass er hierherkommen würde. Sie waren immer so vorsichtig gewesen, so diskret. Seit Addie ihn damals mitgebracht hatte, war er nie wieder hier gewesen. Doch jetzt war er hier, in ihrem Salon – nein, in Marcus’ Salon – und kam mit einem zerknüllten Blatt Papier mit ausholendem Schritt auf sie zu.
Er fuchtelte wütend mit dem Papier herum. «Hattest du vor, es einfach dabei zu belassen?»
Sie hatte ihn mit dem Brief fernhalten wollen, nicht herbeibeschwören wie einen bösen Zauberer. Doch wenn man von der Goblinfrucht gekostet hatte … Bea spürte die aufsteigende Panik und kämpfte sie nieder, wie sie es mit der quälenden Übelkeit tat, die sie täglich plagte.
«Darling! Welch eine Überraschung. Möchtest du nicht ein Glas trinken?» Wenn sie sich normal verhielt, würde vielleicht alles normal bleiben. Dann könnten sie sich wie kultivierte Menschen unterhalten und so tun, es wäre nie etwas geschehen. Sie könnte die Augen schließen und alles würde wieder so werden, wie es sein sollte, wie es vor Bunny, vor Frederick, vor dem allen hier gewesen war. «Das Gleiche wie immer?»
Ihre Hände waren überraschend ruhig, als sie nach dem Mixbecher griff. Gute Erziehung lässt sich nicht verleugnen, würde ihre Mutter sagen. Disziplin von Anfang an zahlte sich aus. Ihr ganzes Leben ging in die Brüche, aber sie reichte weiterhin mit ruhiger Hand die Drinks. Im Salon ihrer Mutter waren Tee und Skandal serviert worden. Was würde es bei ihr sein? Gin und Untergang? Der Einsatz hatte sich geändert. Ihre Mutter hatte gelogen. Nichts in ihrer Erziehung hatte sie auf diese Katastrophe vorbereitet.
«Lass die Spielchen», sagte Frederick schroff. Er hielt das zerknitterte Blatt cremefarbenen Papiers hoch. «Was soll das heißen?»
«Genau das, was darinsteht», antwortete Bea ruhig, obwohl sie alles andere als ruhig war.
«Sauber und deutlich geschrieben», sagte er zornig. «‹Mein lieber Frederick, so kurzweilig dieses kleine Intermezzo war, jetzt ist es Zeit, adieu zu sagen …›»
«Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte ein Gedicht daraus gemacht?»
Er fand ihre Bemerkung nicht komisch. «Du hättest wenigstens den Anstand besitzen können, es persönlich zu beenden.»
Bea zuckte mit den Schultern. «Man hat ständig so viele Dinge zu erledigen.»
«Hör auf», sagte er schneidend, und bei der Schärfe seines Tons stellte sie hastig den Mixbecher weg. «Hör auf.»
Bea sah den Mann an, der drei stürmische Monate lang ihr Liebhaber gewesen war – schummrige Nachtklubs, hastige Umarmungen im Fond von Taxis, heimliche Treffen in seiner Wohnung. Ihre Körper waren aufs Intimste miteinander vertraut geworden, doch im Grunde war er ihr immer noch fremd. Sie hatte nicht erwartet, dass er nun so reagieren würde. Sie hatte, um ehrlich zu sein, allerdings auch nie darüber nachgedacht, wie er reagieren würde. Dazu hatte ihr eigenes Verlangen sie viel zu sehr beansprucht, ihr Verlangen nach Rache, und dann der panische Wunsch, dass das alles einfach verschwinden würde. Dass er verschwinden würde.
Gott, war ihr übel.
Es war eine Sache, bis an die Grenzen zu gehen und sich in eine heimliche Affäre zu stürzen, um Marcus seinen Verrat mit gleicher Münze heimzuzahlen, Untreue mit Untreue zu vergelten, sich süße Rache zu gönnen. Doch dies hier … so weit, bis an den Rand der Katastrophe, hatte es nie kommen sollen.
Nichts war abgelaufen wie beabsichtigt, nichts hatte sich entwickelt wie geplant. Marcus hätte vor Eifersucht glühen und sie im Sturm zurückerobern sollen, damit sie dann ihr Leben hätten fortsetzen können, wie es sein sollte: sie angebetet, er voller Anbetung, das eleganteste Paar in London, der Marquis und die Marquise von Rivesdale, von allen beneidet.
Es sollte alles einfach verschwinden; Frederick sollte verschwinden.
«Muss das sein?», fragte sie und war diesmal ganz ehrlich. «Wir haben uns doch nie vorgemacht, dass Gefühle im Spiel
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