Assassine - Hüterin des Drachenbaums (German Edition)
brauchen wir dringend Nachschub.«
Ein weiter Pfeil Rugors traf sein Ziel. Ein fetter, in Felle gehüllter Hüne brach kreischend in die Knie. Der Baron ließ den Bogen sinken und deutete in Richtung des Tores. »Ich glaube, das wird nicht mehr nötig sein. Sie ziehen sich zurück. Gib den Befehl an die Katapulte, noch fünf Salven zu verschießen, dann dürften wir sie zerschlagen haben.« Der Hauptmann nickte kurz, sandte noch einen Pfeil in die Menge und verschwand schnell im Getümmel der Verteidiger.
Es dauerte mehr als eine Stunde, bis sich der dicke Rauch einigermaßen verzogen hatte und man das Ausmaß der Zerstörungen sehen konnte. Rugor lief die Mauer des zweiten Rings ab. Was er sah, machte in traurig und wütend zugleich. »Wie konnte es so weit kommen? Wir hätten heute fast den Rubinhorst verloren. Der Durchbruch am Westtor hätte nicht passieren dürfen, dann wäre das Schlachtenglück auf unserer Seite gewesen.« Er blickte ernst auf die Ruinen des ersten Rings. Überall lagen Leichen so dicht beieinander, dass manden Boden nicht mehr erkennen konnte. In Senken sammelte sich das Blut und gerann langsam zu einem dickflüssigen, schwarzen Brei. Es roch süßlich nach verbranntem Fleisch. Wo das alchemistische Feuer gewütet hatte, lagen nur noch verkohlte Überreste. Keiner konnte mit Bestimmtheit sagen, wer Feind oder Freund war. Abgeschlagene Köpfe und Körperteile gab es so viele, dass es unmöglich schien, die Besitzer zu jedem Teil zu finden. Vereinzelt lagen noch Verwundete zwischen den Toten, aber Armbrustschützen auf den Mauern sorgten dafür, dass sie von ihrem Leid erlöst wurden – egal ob Anhänger Narronds oder Rubinfalke. »Wenigstens haben wir bis zum nächsten Angriff Zeit, denn das schwelende Feuer macht es ihnen schwer, zu uns vorzustoßen.« Das waren die einzigen tröstenden Gedanken, die in Rugors Kopf hallten, alles andere drehte sich nur um Tod und Verwüstung. Der Feind hatte viele seiner Männer verloren. Rugor schätzte das Verhältnis auf fünf zu eins hier in der Feste. Vor dem Horst lagen jedoch viele weitere auf den Brücken.
Dieser Angriff war ein Wahnsinn gewesen, aber das bewies dem Baron wieder einmal, wie wenig die Menschen das Leben an sich schätzten. »Sie treiben Tausende in den Tod, ohne ein Gefühl der Reue, für sie zählt nur das Ergebnis. Barbarisch ist das. Nicht einmal die Orks würden ihre Streitkräfte in solch einer Sinnlosigkeit verschwenden.« Doch Rugor hatte nun schon lange immer wieder mit den Menschen Kontakt gehabt. Sie waren an sich gar nicht so übel oder gar böse. Im Gegenteil, er hatte sie als mitfühlend und zielstrebig kennengelernt. Das Schlimme an ihnen war nur, dass die Gier ihrer Führer grenzenlos war und der einzelne Mensch sich dagegen nicht wehrte, sei es aus Trägheit, Angst oder einfach nur Dummheit. »Er nimmt es als von den Göttern gegeben hin und lässt sich hier abschlachten. Sie haben eben ein starkes Rudelverhalten, wenige führen und der Rest folgt, ob es Sinn ergibt oder nicht, wird gar nicht gefragt«, grübelte der Baron. »Wo ist denn Anzbacher oder der Kaiser im Augenblick? Keiner von beiden führte den Angriff an, keiner von beiden ist überhaupt hier gewesen. Jedenfalls wurden sie von keinem gesichtet …« Rugors Überlegungen brachten ihn nicht weiter. Er hätte wetten können, dass beide weit entfernt waren und sich an dekadenten und perversen Festen ergötzten, ganz so, wie es in diesen Kreisen üblich war. Aber so waren sie eben. Die Menschen waren ein junges Volk, das einfach zu schnell groß und mächtig geworden war. Sie hatten nie die nötige Zeit gehabt, mit und an ihren Aufgaben zu wachsen, es musste immer schneller gehen, als es gut für sie war. Ihre Triebfedern waren die Gier und der Neid. Wenn es seinen Weg auf dieser Straße fortsetzte, konnte und durfte dieses Volk nicht auf ewig existieren. Sollten die Menschen nicht aufgehalten werden, zögen sie alle Geschöpfe Tiros mit in den Strudel ihres Untergangs …
Rugor setzte seinen Kontrollgang fort und hing weiter seinen dunklenGedanken nach. Der Komtur hatte die Mauer, oder was von ihr übrig war, einmal umrundet und begab sich nun nach oben in den dritten Ring. Der Morgen dämmerte bereits. Der Falkenplatz quoll über vor Verwundeten und Heilern. Priester versuchten alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Leid zu lindern und Wunden zu heilen. Eine scheinbar unlösbare Aufgabe angesichts der Massen an Verletzten, und es kamen ständig
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